taz.de -- Debatte Nato-Gipfeltreffen: Entspannung ist nötig

Der Nato-Gipfel in Warschau muss eine Annäherung an Moskau einleiten. Doch einige Staaten rufen nach stärkerer Konfrontation.
Bild: Die Air Force One mit Präsident Obama an Bord startet nach Polen zum Nato-Gipfel

Abbau, Fortsetzung oder gar Verschärfung der Konfrontationspolitik mit Russland – vor dieser Alternative steht der kommende Nato-Gipfel am Freitag in Warschau. Die polnischen Gastgeber rufen am lautstärksten nach einer Verschärfung der Konfrontation, die noch über die bereits beim letztjährigen Gipfel in Wales vereinbarten Maßnahmen hinausgehen sollen.

Damals hatten die Staats- und Regierungschefs der 28 Nato-Staaten die Bildung von schnellen Eingreiftruppen von zunächst 5.000 Soldaten („Speerspitze“) beschlossen, die bei Annahme einer akuten Bedrohung durch Russland schnell in die osteuropäischen Mitgliedsstaaten verlegt werden können. Darüber hinaus haben die USA zwischenzeitlich unilaterale Maßnahmen angekündigt zur Verlegung von schweren Waffen und amerikanischen Soldaten nach Osteuropa.

Doch der Regierung in Warschau reicht dies alles nicht. Sie fordert, und etwas zurückhaltender verlangen auch die Regierungen der drei baltischen Staaten in Warschau, die dauerhafte Stationierung von Nato-Truppenverbänden und Waffen in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten.

Dieser Forderung sind die 28 Verteidigungsminister der Allianz inzwischen [1][mit ihrer Grundsatzentscheidung von Anfang Juni] nachgekommen, ab 2017 rund 4.000 Nato-Soldaten in Polen und den drei baltischen Staaten zu stationieren. Zwar sollen diese Soldaten durch ein Rotationsverfahren regelmäßig durch neue Soldaten aus den Entsendeländern ersetzt werden. Aber dennoch handelt es sich bei der beschlossenen Maßnahme um eine permanente Stationierung von Nato-Soldaten in Osteuropa.

Das wäre ein klarer Verstoß nicht nur gegen den Geist sondern auch gegen die Buchstaben der 1997 zwischen der damals noch rein westlichen Militärallianz und Russland vereinbarten Grundakte, in deren praktischen Umsetzung dann 2002 der Nato-Russland-Rat etabliert wurde. Mit der Grundakte von 1997 wollte die Nato Moskaus Bedenken gegen die Osterweiterung der Allianz beschwichtigen.

Doch dieser Beschwichtigungsversuch der Nato ist gescheitert. Wer das all die Jahre seit der vollzogenen Osterweiterung der Nato nicht wahrhaben wollte, wurde spätestens durch den Ukraine-Konflikt eines Besseren belehrt. Die deutsche Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist unter den Regierungen der 28 Nato-Mitglieder die stärkste Befürworterin einer Wiederannäherung an Moskau und des Abbaus statt einer Verschärfung der Konfrontationspolitik. Allerdings wird diese Linie manchmal von den Aufrüstungsankündigungen der profilneurotischen Militärministerin und Kanzleramtsaspirantin von der Leyen torpediert.

Nato-Russland-Rat wiederbeleben

Doch abgesehen von der Militärministerin und einigen unverbesserlichen antirussischen Ideologen sowie von der Rüstungsindustrie bezahlten Lobbyisten in Parlament, Medien, Parteistiftungen und außenpolitischen Denkfabriken, hat sich in Berlin inzwischen die Einsicht durchgesetzt, dass der im Frühsommer 2014 von der Nato eingeschlagene Konfrontationskurs gegenüber Moskau gescheitert ist.

Weder die Aussetzung des Nato-Russland-Rates und die Suspendierung der russischen Mitgliedschaft in der G-8 noch die von den USA und der EU verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Moskau haben die Regierung Putin zur Korrektur ihrer Ukrainepolitik bewegen können. Deshalb war es ein richtiger erster Schritt, dass die Nato – ganz wesentlich auf Betreiben der deutschen Bundesregierung – im April erstmals seit zwei Jahren wieder Beratungen mit Russland im Rahmen des Nato-Rates geführt hat. Auf – wenn auch viel zu leise – Unterstützung stößt die Haltung der Berliner Regierung auch in Belgien, Griechenland, Spanien und Italien.

Doch dieser erste Schritt der Wiederbelebung des Nato-Russland-Rates reicht nicht aus, um die Eskalationsdynamik der letzten zwei Jahre zu beenden und umzukehren. Diese Eskalationsdynamik hat inzwischen ein gefährliches Niveau und eine Eigenlogik erreicht, die immer mehr an den Kalten Krieg erinnern. Das gilt für die operativen Maßnahmen im militärischen Bereich (Manöver, Truppenverlegungen, gezielte Provokationen etwa durch Luftraumverletzungen) und die konventionellen wie atomaren Aufrüstungsprojekte auf beiden Seiten ebenso wie für die Sprachmuster der gegenseitigen Vorwürfe und Bedrohungsbehauptungen, mit denen die eigenen militärischen Eskalationsmaßnahmen begründet werden.

Keine Nato-Soldaten für Osteuropa

Die Nato könnte auf ihrem Warschauer Gipfel Einiges tun, um die negative Eskalationsspirale im Verhältnis zu Russland zu beenden. Zum einen sollten die 28 Staats-und Regierungschefs die Grundsatzentscheidung der Verteidigungsminister zur dauerhaften Stationierung von 4.000 Nato-Soldaten in Osteuropa nicht absegnen. Auch eine eindeutige Entscheidung, dass die vom Gipfeltreffen 2008 beschlossene Option für einen Beitritt der Ukraine, Georgiens und Moldawiens nicht mehr besteht, wäre ein sehr wichtiges Entspannungssignal.

Ebenso sollte der im Vorfeld des Gipfels von verschiedener Seite geforderte Beschluss zur Aufnahme Montenegros nicht erfolgen. Derartige Signale der Nato könnten Moskau zu einem Ende der hybriden Kriegsführung in der Ukraine bewegen. Um die seit Beginn des Konflikts um die Ukraine im Frühjahr 2014 ständig wachsende Gefahr ungewollter militärischer Zusammenstöße zu verringern, sollte die Nato Moskau ein Moratorium vorschlagen für Manöver beider Seiten in der Ostsee, im Schwarzen Meer sowie im grenznahen Luftraum.

Hilfreich für einen Entspannungsprozess wären auch Moratoriums- oder Verhandlungsvorschläge für die geplanten oder bereits angelaufenen Aufrüstungsprojekte beider Seiten im atomaren und konventionellen Bereich sowie über die Vereinbarung dauerhaft militärfreier Zonen beiderseits der Landgrenzen zwischen Russland und den osteuropäischen Nato-Staaten. Auf diese Weise ließe sich das 1990 zum Ende des Kalten Krieges zwischen der Nato und dem damals noch existierenden Warschauer Pakt vereinbarte Abkommen über die Reduzierung und Begrenzung konventioneller Streitkräfte in Europa (KSE) noch retten.

In diesem Abkommen wurden Obergrenzen festgelegt für schwere Waffen (Panzer, Kampfflugzeuge und -hubschrauber sowie Artillerie) sowie für die Zahl von Soldaten, die in bestimmten Regionen des Vertragsgebietes vom Atlantik bis zum Ural stationiert werden dürfen. Gegen den Geist oder gar den Buchstaben des KSE-Abkommens verstößt Russland seit einigen Jahren in den Grenzgebieten zu Georgien sowie aktuell mit den Truppenverlagerungen der letzten zwei Jahre in Richtung ukrainische Grenze. Auch die von der Nato angekündigte Stationierung schneller Eingreiftruppen auf den Territorien Polens und anderer osteuropäischer Mitgliedsländer der Allianz wären eine Verletzung des KSE-Abkommens.

Referendum über die Zukunft der Krim

Mit den genannten Entspannungsinitiativen könnte der Nato-Gipfel den russischen Präsidenten Putin, der in der eigenen Bevölkerung eine viel größere Unterstützung für seine bisherige Ukrainepolitik hat als die Regierungen der Nato-Staaten, seinerseits zu Schritten der Deeskalation unter Wahrung des eigenen Gesichts bewegen. In der längerfristigen Perspektive eines solchen Entspannungsprozesses läge dann auch ein neues, diesmal von der OSZE oder der UNO durchgeführtes Referendum über die Zukunft der Krim, mit dem die völkerrechtswidrige Annexion der Halbinsel durch Russland vom März 2014 wieder korrigiert würde. Denn zu glauben, die Krimfrage wäre erledigt, ist eine törichte Illusion. Eine Illusion, die sowohl in der Nato existiert, wie in Teilen der Friedensbewegung.

Doch wenn diese Streitfrage nicht durch ein von allen Seiten akzeptiertes Verfahren gelöst wird, werden die Beziehungen nicht nur zwischen Kiew und Moskau auf Dauer belastet sondern auch zwischen Russland und der Nato. Entscheidend wäre, dass bei einem erneuten Referendum auch eine Option zu Wahl steht, über die die KrimbewohnerInnen im März 2014 gar nicht abstimmen konnten: der Verbleib der Krim im ukrainischen Staat, allerdings mit einem sehr weitgehenden Autonomiestatus. Damit ist nicht nur die Beibehaltung von Russisch als offizieller Amtssprache gemeint, sowie kulturelle Autonomie, sondern auch politische, administrative und wirtschaftliche Rechte wie zum Beispiel das Recht, eigene Steuern zu erheben.

7 Jul 2016

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AUTOREN

Andreas Zumach

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