taz.de -- Kommentar Abkommen ohne Bundestag: Junckers Ceta-Affront
Die Aktion zeugt nicht nur von undemokratischem Verständnis. Es ist schlicht dämlich, nicht mal eine Woche nach dem No der Briten.
Anfang der 90er Jahre gab es die „Eurosklerose“, dann die Eurokrise, jetzt den Brexit: Kritik am „Moloch“ Brüssel ist also nichts Neues. Jean-Claude Juncker handelt mit seinem Ceta-Erlass trotzdem so, als habe er noch nie etwas von der jahrzehntealten EU-Skepsis gehört. Wenn der Kommissionspräsident das Freihandelsabkommen mit Kanada an den europäischen Parlamenten vorbei durchprügeln will, begeht er einen großen politischen Fehler.
Die Aktion zeugt nicht nur von undemokratischem Verständnis und einem schlechten politischen Näschen. Es ist nämlich schlicht dämlich, nicht mal eine Woche nach dem No der Briten den Vertretern der Nationalstaaten die Mitsprache über das viel kritisierte Abkommen zu verweigern. Entsprechend ist der Aufschrei.
Ja: Die Furcht Junckers, die Ratifizierung durch die noch 27 Nationalparlamente bedeute „ein Rezept zur Lähmung der EU“, ist nicht völlig unbegründet: Die Ratifizierung eines ähnlichen EU-Abkommens mit Südkorea dauerte fünf Jahre. Und dieser Vertrag war längst nicht so umstritten, wie es jetzt das Abkommen mit Kanada ist. Gegen Ceta und das US-Schwesterabkommen TTIP gingen im vergangenen Herbst in Berlin 250.000 Menschen auf die Straße.
Und trotzdem nein: Der Kern der Proteste gegen Ceta und TTIP ist im Kern auch der Protest auf dem gesamten Kontinent gegen die Europäische Union. Viele Bürger zweifeln an ihrer demokratischen Verfasstheit und Transparenz. Trotz EU-Parlament. Trotz der gewählten Nationalregierungen, die im Rat die entscheidenden Leitlinien der europäischen Politik vorgeben.
Jean-Claude Juncker bestärkt diesen Autokratieverdacht. Demokratie dauert. Demokratie kostet Überzeugungskraft. Diese will Juncker offenbar nicht mehr investieren. Wenn er den Konflikt um Ceta so eskalieren lässt, schürt das den Verdacht, dass in Brüssel tatsächlich viele im viel zitierten „Raumschiff Europa“ sitzen.
30 Jun 2016
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Das Abkommen soll nun doch von allen Parlamenten in der EU ratifiziert werden. Das wird kein Selbstläufer.
Im Bundesrat wollen die Grünen gegen Ceta votieren, sagen Jürgen Trittin und Robert Habeck. CSU-Politiker Ramsauer findet „sehr viel Irrationales“ am Widerstand.
Trotz der gegenteiligen Ansage von EU-Kommissionschef Juncker sollen nun die nationalen Parlamente über das Ceta-Abkommen abstimmen.
Der EU-Kommissionspräsident hat nach dem Brexit-Votum versagt. Von Anfang an war Jean-Claude Juncker eine Fehlbesetzung.
Schleswig-Holsteins Umweltminister kritisiert, dass Ceta, das Freihandelsabkommen zwischen EU und Kanada, „durchgedrückt“ werden soll.
Die EU-Kommission will, dass das Freihandelsabkommen nicht von den nationalen Parlamenten ratifiziert wird, sondern nur vom Europaparlament.
Kritiker wollen das EU-Kanada-Abkommen im Bundesrat stoppen. Doch ob der überhaupt gefragt wird, ist offen.
Die Grünen stehen vereint gegen das umstrittene Freihandelsabkommen Ceta? Interne Mails wecken nun Zweifel daran.