taz.de -- Elbphilharmonie-Eloge wider Willen: Betörend schön
Auch wenn man weiß, wie langwierig und teuer das alles war: Der Ästhetik des edlen Elbphilharmonie-Saals kann sich auch der Nörgel-Journalist nicht entziehen.
HAMBURG taz | Ja, kann man denn so umkippen? Da nörgelt man jahrelang an der Elbphilharmonie herum, recherchiert und schreibt über die fast 800 Millionen Euro, die zehnjährige Bauzeit, die allseits chaotische Planung. Oft hat man sich gewünscht, dass das Ding bei Nacht und Nebel einstürzen möge. Oder Subkultur-Brache oder ein Parkhaus wird.
Und dann betritt man den Bau kurz vor Fertigstellung des Großen Konzertsaals, stapft durch Matsch, Staub, Kabelsalat – und ist so begeistert, dass es schon peinlich ist. Ist fasziniert von den edlen Materialien, von den organisch gewundenen Treppen, den lichten Aus- und Durchblicken. Und das einzige lahme Genörgel, das einem einfällt, lautet: Na, wenn es schon so teuer war, soll es auch hochkarätig werden.
Stimmt, und auch ohne die Elbphilharmonie hätte der Normalhamburger die 800 Millionen nicht bekommen. Jetzt kann er wenigstens für acht Euro ins Konzert und stolz darauf sein, dass er das hier mitfinanziert hat: dieses schönste Kulturgeschenk, das sich eine Stadt machen kann – auch wenn Hamburgs Senat es weniger aus Kultur-Enthusiasmus tat denn aus Marketing-Kalkül und Eitelkeit
Aber wie auch immer: Herausgekommen ist ein Kulturtempel, wie er feiner kaum denkbar wäre; etwas Ästhetischeres, im guten Sinne Zweckfreieres hätte man mit diesem Geld nicht anfangen können; sogar der einstige Nörgel-Journalist beginnt mit dem guten alten Schiller zu glauben, dass Ästhetik feinsinnig macht und den Charakter bessert.
Oder zumindest den Wohlfühl-Faktor erhöht, denn das Ganze ist nicht nur schön anzuschauen, sondern auch angenehm taktil: Die Wände des Verwaltungstraktes sind aus Beton – aber nicht zu hart. Andere aus Gips, aber nicht zu weich. Sondern immer im angenehm anfassbaren Mittelmaß. Eben kultiviert.
Dieser Kompromiss zwischen rauer Ursprünglichkeit und künstlerischer Verfremdung gelingt im kleinen Konzertsaal besonders gut. Dessen (warum auch immer: französische) Eichenholz-Wände bilden eine gewellte Verschalung wie einst die Eierkartons unserer Garagenbands.
Feiner Holzvorhang wie im „Freischütz“
Aber um wie viel edler: Die konsequent vertikale Holzmaserung suggeriert, die Bäume stünden noch. Und ob man will oder nicht: Man muss sie sofort anfassen, um sicher zu gehen, dass man sich nicht täuscht. Denn von weitem sieht das Ganze wie ein locker fallender Vorhang aus, ein Bühnenbild für die Waldszenen des „Freischütz“ vielleicht.
Im großen Saal nennt sich dieser Schallschutz „Weiße Haut“, besteht aus eingekerbtem Gips, gemustert wie Blattadern unterm Mikroskop. Allerdings, die Weiße Haut ist kalt wie nasser Sand, Anfassen macht weniger Spaß als eben noch beim Holz. Aber der große Saal fasst ja auch 2.100 Menschen, da geht die Intimität ohnehin leicht verloren.
Hoch und schmal ist dieser ans antike Theater von Delphi angelehnte Raum, seine Sitze sind mittelweich, die Rückenlehnen hanseatisch steil – aber man sitzt ja auch nicht im Wohnzimmer, sondern in einer Art Kathedrale.
Saaldecke fast wie im gotischen Dom
Spitz wie ein gotischer Dom sollte ursprünglich auch die Saaldecke zulaufen. Bis auffiel, dass der Saal dann auch die Nachhallzeit einer Kathedrale hätte. Also hängte man einen Schallschluck-Reflektor hinein. Es gelang: Perfekt fügt sich der riesige Kopfüber-Pilz wie ein lebenswichtiges Organ in den birnenförmigen Saal.
Diese Form hängt mit dem Grundriss des Elbphilharmonie-Sockels zusammen: Der einstige Kakaospeicher bildet ein Trapez, an dessen schmalster Stelle der Konzertsaal steht. Deswegen ist er einerseits steil, damit er trotzdem genug Leute fasst. Andererseits so verschachtelt, dass die Sitzreihen wie minimalistisch schlichte Linien wirken. Vielleicht auch wie Klangwellen, die sanft ineinander übergehen.
Wellen sind übrigens kein Zufall an diesem Ort, denn auch die Elbphilharmonie-Architekten erlagen der Versuchung, Maritimes zu inszenieren: nicht nur, dass die Philharmonie äußerlich an ein Schiff erinnert und das geschwungene Dach an die Wogen der Elbe. Auch die Glastüren auf der Plaza – dem Flanierbereich zwischen Kaispeicher und Elbphilharmonie – sind windschnittig gewellt. Und natürlich sieht von fast jedem Punkt aus die Stadt und den Hafen, schließlich soll man nicht vergessen, wo man sich befindet, und etwa denken, man sei in Sydney oder so.
Federpakete gegen Schiffshupen und -schrauben
Der Akustiker hat den Hafen nicht ganz so lieb: Mächtige stählerne „Federpakete“, unauffällig im Treppenhaus montiert, trennen Außen- und Innenwand des Saals, damit weder das Tuten der „Queen Mary“ noch deren Schiffsschrauben-Vibration das Konzert stören.
In den nicht so stark isolierten Räumen im Kaispeicher-Unterbau ist es allerdings egal: In deren „Kaistudios“ sollen ohnehin eher Proben und Clubkonzerte stattfinden. Ganz nebenbei ist die Subkultur also wieder in den Untergrund gesickert, genau wie die Musikpädagogik des „Klingenden Museums“, das vom Souterrain der Laeiszhalle ins Souterrain der Elbphilharmonie zieht. Aber auch werdende Abonnenten sind ja so etwas wie Subkultur, solange sie nicht zahlen.
So. Und bevor wir jetzt wieder das Nörgeln anfangen, gehen wir mal ganz schnell nach Hause.
11 Jul 2016
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