taz.de -- Kolumne Ich meld mich: Rest in Brest
Die Kunst, enstpannt unterwegs zu sein und auch den Ärger beim Flugausfall mit Cidre und Austern hinunterzuspülen. Eine Selbsterfahrung.
Vor zwei Jahren Aachen, dieses Mal Brest. Damals die deutschen Lokführer, jetzt französische Piloten. Streik! Der nächstmögliche Flug nach Paris geht erst morgen früh, findet die mitfühlende Angestellte heraus. Ein ärgerlicher Zwangsstopp: Kostet Geld, lässt Verabredungen platzen, wirbelt Pläne durcheinander. Eine Katastrophe sozusagen? Quatsch. Katastrophen sehen anders aus.
Air France bucht ein Hotel und stellt Taxigutscheine aus, die Rechnung fürs Restaurant bitte hinterher einreichen. Und nun? Was fängt man an mit einem zwangsverordneten Urlaubstag an einem grauen Sonntag in einer verschlossenen Stadt am Meer, in die der Seewind salzigen Regen trägt?
Die Antwort heißt: Oceanopolis. Mit Bus Nr. 3 geht es eine halbe Stunde hinaus durch die Vororte zu dem berühmten Meereszentrum. Die weißen Bauten sind etwas in die Jahre gekommen, die englischen Erklärungen sparsam gehalten, aber Konzept wie Aquarien faszinieren nach wie vor.
Im Film bibbere ich mit auf der Polarstation, ich schwitze im Regenwald und lerne, dass Sturmvögel ihre Nahrung über Hunderte von Kilometern Entfernung riechen. In aller Ruhe betrachte ich Riffhai, japanischen Hornhai, Stierkopfhai, Sägefisch und Rundkopf-Geigenrochen und überlege, wie sie in einem Becken miteinander zurechtkommen, ohne sich zu massakrieren.
Ich fühle mich verstanden vom nachsichtigen Blick einer uralten Schildkröte, bestaune Seeanemonen in herrlichen Pastellfarben und steige mit Tauchroboter „Victor“ 6.000 Meter in die Tiefe ab. Selbst den Schreikrieg vor dem Tropenriff lasse ich über mich ergehen, als alle Kleinkinder wie auf Kommando gemeinsam zu plärren beginnen. Irgendwann gehen die Familien weiter – und ich habe ja Zeit. Bester Laune nehme ich den Bus zurück in die Stadt. Jetzt ein paar frische Austern, eine Flasche Cidre . . .
„Was für ein Ärger, plötzlich zu stranden“, sagt ein Freund zu Hause. „Bist du vor Wut wohl im Karree gesprungen!“ Stimmt, hätte ich auch machen können.
26 Jun 2016
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