taz.de -- Kolumne Tour de France: Rugby, inschallah
In der Bar du Pont, gelegen in einer Vorstadt von Marseille, lässt sich gut Fußball schauen. Gerne mit Raki und Rugby – Hauptsache, keine Politik.
Löw hat kein Unterhemd an. Götze bedeckt sich sein Gemächt und uuuh, aah, gerade noch in Minute 36. Boateng haut den Ballon aus dem Kasten raus. Uuuh, aah. Die Männer in der Bar du Pont applaudieren beim Spiel Deutschland – Ukraine. Wir sind in der nördlichen Vorstadt von Marseille in St. Antoine, und der neonblaue Schriftzug der Bar flackert draußen derart in die blaue Stunde hinein, dass man sich bei einem permanenten Polizeieinsatz wähnt.
Drinnen gibt es Tee, Raki und Halal-Fleisch, die Bar du Pont ist auch ein türkisches Restaurant. Die Tischdecken sind gülden, die Wände knallrot und die Kassettendecke ist hellblau, über dem Tresen hängt gleich zweimal die Trikolore. Warum keine türkische Fahne? Gihen, außer mir die einzige Frau in der Bar, flüstert: „Hier kommen auch Kurden her, „on veut pas le dispute“. Ihr Kollege Orhan ergänzt knapp: „Keine Politik hier. Desirez-vous encore un raki, Madame?“
Orhan trägt eine enge Jogginghose im Militarylook, „und dass die Türkei gegen Kroatien verloren hat, nun ja, inschallah, die können nix und ich bin sowieso für Rugby“. Unter seiner Jacke zeigt er stolz den gelben Hahn auf dem blauen Poloshirt der französischen Rugby-Union-Nationalmannschaft. Im Flachbildschirm erscheint das Logo des EM-Sponsors „Törquiche Ärlliance“ und beim Pay-TV-Sender „beIN Sports“, der hier die EM überträgt, ist es umso erstaunlicher, dass einer der beiden Moderatoren in perfekt deutschem Kommandoton Namen wie Schweinsteiger oder Schürrle herausscharrt.
15 Jun 2016
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