taz.de -- Hausbesuch bei Anti-Nazi-Aktivistin: Sie kann nicht anders

Seit 30 Jahren entfernt Irmela Mensah-Schramm rassistische Schmierereien und reißt Nazi-Aufkleber ab. Das sei eine „staatsbürgerliche Pflicht“.
Bild: Zeigt ihre Schilder: Irmela Mensah-Schramm

Berlin-Wannsee, eine Dachgeschosswohnung im Gründerzeitaltbau. Zu Besuch bei Irmela Mensah-Schramm.

Draußen: Besonders idyllische Ecke von Berlin, Dorfflair. Über dem schmiedeeisernen Tor spannt sich ein Metallbogen als Rankgerüst für Rosen. Die nehmen diese Hilfe halbherzig an.

Drin: Mansardenwohnung, abgelebtes Parkett, gemütlich und leicht staubig statt repräsentativ-reinlich gewienert. Im Wohnzimmer ein Setzkasten mit Froschfigürchen und ähnlichem, eine Schale mit duftendem Blumen-Potpourri, im Schlafzimmer künden wellige Poster von Mensah-Schramms Arbeit in der Friedensbewegung („Freiheit für El Salvador“). Ihr Blick vom Bett fällt auf Regale voller Leitz-Ordner, von 1 bis 80 durchnummeriert.

Was macht sie? „Hass vernichten“, so fasst die pensionierte Heilpädagogin ihre Mission zusammen. Seit 30 Jahren entfernt sie fremdenfeindliche Graffiti von Hauswänden, Stromkästen und S-Bahn-Sitzen. Über 70.000 Schmierereien hat sie vor dem Beseitigen fotografiert. Diese Dokumentation des Hasses füllt besagte 80 Ordner. Zum Hausbesuch serviert Mensah-Schramm – Bubikopf, Kleidung in gedeckten Farben, 70 Jahre – grünen Tee und ein Schälchen Marzipan-Walnuss-Pralinen.

Irmela Mensah-Schramm: Geboren 1945 „nach Kriegsende, ich kann mich aber an die Bombenkrater noch gut erinnern“. Nach Berlin kommt Mensah-Schramm in den sechziger Jahren für ihre Ausbildung. Sie arbeitet als heilpädagogische Lehrkraft, „politisiert sich“ und wird aktiv in der Friedensbewegung.

Initialzündung: 1986 entdeckt Mensah-Schramm in ihrem Kiez einen Aufkleber an einem Wartehäuschen, der Freiheit für den Kriegsverbrecher Rudolf Hess fordert. Sie ärgert sich – fährt aber erst einmal zur Arbeit. Als sie zehn Stunden später zurückkommt, ist der Aufkleber immer noch da. „Da ist mir klar geworden, dass man sich auch durch Nichtstun schuldig macht.“ Sie kratzt ihn ab und hat seitdem nicht mehr aufgehört, die Augen offen und die Putzutensilien parat zu haben.

Der Ceranfeldschaber: Neulich hat sich Mensah-Schramm „auf einen U-Bahn-Sitz geschwungen“, vorher hat sie die Schuhe ausgezogen, „ich bin ja eine anständige Frau.“ Anlass der sportlichen Aktion: An einem der Bildschirme, auf denen Nachrichten laufen, klebte ein Nazi-Aufkleber. Mensah-Schramm holte einen Ceranfeldschaber heraus („meine Geheimwaffe“), mit dem man die glatte Herdoberfläche säubert. Und dann? „Den Aufkleber abgemacht. Zack, zack, zack. Der Dreck muss weg, bevor er sich in den Köpfen festsetzt.“

Sisyphos: Mensah-Schramms Rekord liegt bei 700 entfernten Hass-Sprüchen an einem Tag („Meine Handinnenflächen tragen schon mal Blasen davon“). Selbst zwei Tage nach einer Krebsoperation schrubbte sie im Kliniktreppenhaus ein Hakenkreuz weg. Woher nimmt sie die Kraft? Sie „tue nur ihre staatsbürgerliche Pflicht“, sagt sie dazu nur, bekennt aber, dass sie sich schon manchmal selbst bremsen müsse. „Mein Geburtstag – daher Ruhe!“, hat sie in einem Wandkalender im Bad als Vermerk für sich notiert.

Legale Grauzone: Mensah-Schramm bewegt sich in der Grauzone zur Legalität, wenn sie Graffiti übermalt – selbst wenn die Inschriften verfassungswidrig sind. Als sie einmal mit Kuli einen Schriftzug „Sieg heil“ auf einer S-Bahn-Sitzbank unkenntlich machte, rief die Zugbegleiterin über Funk aufgeregt die Polizei mit den Worten „Hier ist eine Frau, die Schmierereien beschmiert!“, erinnert Mensah-Schramm sich. „Generell gehe ich ganz cool vor: Beschädigte Gegenstände sind ersetzbar, eine verletzte Menschenwürde jedoch nicht!“

Erfolge: „Ein Nazi hat aufgehört, wegen mir“, erzählt sie. „Eines Tages kommt der auf mich zu und sagt: ‚Ich bin nicht mehr dabei. Und dafür will ich Ihnen danken. Ich habe Sie beleidigt und bedroht – Sie haben weitergemacht. Das hat mich zum Nachdenken gebracht.‘ “ Und er wurde sogar selbst zum Kämpfer gegen rechte Hetze: Er erzählte, wie er dem Betreiber eines Zeitschriftenkiosks die NPD-Zeitung vor die Füße geworfen hatte. Mensah-Schramm: „Mir kamen die Tränen. ‚Ach, nicht doch!‘, sagte er dann.“ Sie hat sich dann einen Piccolo gekauft und zu Hause getrunken. „Alleine.“

Einsamkeit: Bei der Frage, wie die Familie ihre Einsätze gegen Fremdenfeindlichkeit sieht, trübt sich die Laune. Ihre Verwandten sagten oft, sie solle sich doch einfach ein schönes Leben machen. „Aber das kann ich nicht, solange überall noch Hassparolen an den Wände stehen. Ans Aufhören denke ich also nicht. Außer es gäbe nichts mehr wegzuwischen. Das wird wohl in absehbarer Zeit nicht geschehen.“ Lobende Worte, mit denen sie zum Beispiel der Senat von Berlin bedachte, verärgern sie eher. Denn – „Anerkennung ist nett, aber keiner gibt Geld. Wenn sich ältere Damen wie ich voller Leidenschaft politisch engagieren, werden wir gerne für ein bisschen verrückt erklärt.“

Weitermachen: Das hält Mensah-Schramm nicht davon ab, ihre Meinung zu vertreten. Im Wohnzimmer hängen selbstgestaltete Plakate, griffbereit für die nächste Anti-AfD-Kundgebung: „Abartig, fies, Dämlich“ hat Mensah-Schramm darauf geschrieben. „Habe ich alle selbst getextet“, sagt sie und deutet auf weitere Plakate. Ihr Plan: Bei der nächsten Anti-Pegida-Demo durch die Polizeisperre „durchzuwutschen“, damit sie den Pegida-Leuten direkt in die Augen sehen kann.

Wie findet sie Merkel?

Mensah-Schramm war nie eine Anhängerin der Bundeskanzlerin, „aber die äußerst ekelhaften Demütigungen gegen sie erzeugen das Gefühl einer ‚Leidensgefährtinnen-Solidarität‘!“ Und: „Sie steckt ihren Kopf nicht in den Sand! Sie beweist Mut!“

19 Jun 2016

AUTOREN

Annette Leyssner

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