taz.de -- Flucht über das Mittelmeer: UNHCR beklagt 700 Tote

Auf der Überfahrt von Libyen nach Italien sind in der vergangenen Woche hunderte Menschen umgekommen. Italien mahnt eine europäische Lösung an.
Bild: An der Küste, zwischen Italien und Frankreich (Archivbild, 2015)

ROM taz | Das Massensterben im Mittelmeer geht weiter. [1][Eine erneute Tragödie hat am Donnerstag] nach Aussagen Überlebender womöglich mehr als 500 Menschenleben gefordert. Insgesamt liegt die Zahl der Opfer allein in den letzten Tagen nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks bei 700.

Nach ihrer Ankunft im sizilianischen Pozzallo berichteten die Bootsflüchtlinge vom Untergang eines Schiffs unweit der libyschen Küste. Nach den Zeugenberichten war vom libyschen Sabrata aus ein Konvoi, bestehend aus zwei Fischkuttern und einem Schlauchboot, in See gestochen. Der eine Kutter habe den zweiten im Schlepp gehabt, allein auf dem zweiten Boot befanden sich nach Schätzung des UNHCR 670 Menschen. Schon wenige Kilometer nach der Abfahrt sei der zweite Kutter leck geschlagen und langsam mit Wasser vollgelaufen. Daraufhin hätten die Schleuser auf dem ersten Boot das Tau gekappt.

Schon diese Aktion kostete eine Frau auf dem vorausfahrenden Schiff das Leben: Das zurückschnellende Tau trennte ihren Kopf fast ab. Das zweite Boot dagegen kenterte binnen weniger Minuten. Das UNHCR befürchtet, dass 550 von ihnen ertranken. Aufgrund von Zeugenaussagen identifizierten die italienischen Behörden am Samstag einen Sudanesen als Schleuser und nahmen ihn in Haft.

Schon am Mittwoch waren bei einem Schiffsuntergang zahlreiche Opfer zu beklagen. Nach dem Kentern eines von Libyen aus abgefahrener Boote waren fünf Leichen aus dem Wasser geborgen worden. Die Geretteten berichteten jedoch, dass hundert Menschen unter Deck eingeschlossen gewesen seien. Eine weitere Tragödie ereignete sich am Freitag. Nach der Havarie eines Flüchtlingsboots rettete ein italienisches Marineschiff zwar 135 Menschen, doch 45 Personen konnten nur noch tot aus dem Wasser geborgen werden, während dutzende weitere Menschen vermisst werden.

Allein in der letzten Woche machten sich von Libyen aus bei schönem Wetter und ruhiger See dutzende Schiffe, oft nicht hochseetaugliche Schlauchboote, von Libyen aus auf den Weg Richtung Italien. Bis zum Sonntag retteten Boote der italienischen Küstenwache, Marineeinheiten Italiens und anderer Staaten, Schiffe von Hilfsorganisationen etwa 14.000 Menschen aus Seenot und brachten sie in die Häfen Siziliens und Süditaliens.

Unterschiedliche Fluchtbewegungen

So hoch diese Zahlen auf den ersten Blick sind, so liegen sie doch bisher nicht über dem Niveau der beiden Vorjahre, als bis Ende Mai auch jeweils gut 40.000 Personen auf dem Seeweg nach Italien flüchteten. Dennoch kursieren in Italien Schätzungen, dass dieses Jahr etwa 200.000 Menschen von Libyen aus die Überfahrt antreten könnten, während 2015 gut 150.000 kamen. Danach halten sich etwa 270.000 zur Abfahrt bereite Personen in den Küstenorten Libyens auf. Das Gros der Flüchtlinge stammt aus Westafrika.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) nennt für 2016 als erste fünf Herkunftsnationen Nigeria, Gambia, Senegal, Guinea und die Elfenbeinküste. Schon diese Tatsache zeigt, dass die gegenwärtigen Fluchtbewegungen Richtung Italien nichts mit der Schließung der griechisch-türkischen Seegrenze und der Balkanroute zu tun hat: Auf diesem Weg gelangten vor allem Syrer, Iraker und Afghanen nach Europa.

Vor diesem Hintergrund mahnt Italien erneut eine europäische Lösung an. Nach den bisher vereinbarten Umverteilungsmechanismen sollte Italien knapp 40.000 Flüchtlinge an andere EU-Länder abgeben. Bisher jedoch wurden im Rahmen dieses Programms nur 591 in Italien registrierte Flüchtlinge von anderen europäischen Staaten übernommen.

29 May 2016

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Michael Braun

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