taz.de -- Bundespräsidentenwahl in Österreich: Endzeitstimmung statt Sommerfreude
Vor allem Linksalternative sind ob eines möglichen Siegs des Rechtsnationalen Norbert Hofer verunsichert. Dessen Lager zeigt sich voller Hass.
Wien taz | Wenige Stunden vor der Schließung der letzten Wahllokale in Wien und Innsbruck liegt eine gespannte Lähmung über Österreich. Die letzten Wahlauftritte der beiden Kandidaten um die Hofburg wurden am Freitag in Wien absolviert. Der in vielen Landesteilen bisher wärmste Tag des Jahres treibt die Menschen ins Freie, aber entspannte Sommerfreuden wollen nicht aufkommen.
Stattdessen herrscht Endzeitstimmung – vor allem in linksalternativen Kreisen. Samstagabend bei einer Geburtstagsfeier auf einem Reiterhof bei Wien: Eine Zuwanderin macht sich Sorgen um ihre Kinder, die in extrem linken Parteien engagiert sind. Szenarien einer schrittweisen Machtergreifung der FPÖ werden diskutiert. Ein Künstler bemüht sich, die Laune zu heben: Er will sich „den letzten Abend in einer Demokratie“ nicht verderben lassen.
Der Wahlkampf hat eine Spaltung des Landes offengelegt, die eine neue Qualität hat. „Das geteilte Land“ titelt die konservative Tageszeitung Die Presse und illustriert dieses Urteil mit Panoramen von Wien und einer idyllischen Berglandschaft. Es stehen die aufgeklärte Stadt gegen die konservative Provinz, die Gebildeten gegen die Bildungsfernen, die Weltoffenen gegen die Nationalisten.
Eine Lokalinhaberin hat FPÖ-Sympathisanten beschieden, sie mögen lieber draußen bleiben. Ein Wirt in Oberösterreich liefert auf jeder Rechnung eine Wahlempfehlung für Hofer mit. Ein Kaffeehausbesitzer in Wien hat Wählern von Norbert Hofer und Alexander van der Bellen getrennte Räume zugewiesen. Handgreiflichkeiten sollen vermieden werden.
Unappetitliche Postings
In den sozialen Medien attackieren Fans der Kandidaten schon jetzt mit unappetitlichen bis kriminellen Postings die jeweiligen Gegner und deren Umfeld. Besonders aus dem FPÖ-Lager quillt blanker Hass.
Der TV-Moderatorin Ingrid Thurnher, die Hofer mit Widersprüchen seiner Berichte über einen Israel-Besuch konfrontiert hatte, wünschte einer „drei Afghanen“ und eine Vergewaltigung. Die Polizei bereitet sich jedenfalls auf Demonstrationen vor, sollte Sonntagabend bereits ein Ergebnis feststehen.
Das ist gar nicht so sicher. Denn eine Rekordanzahl von fast 900.000 Wahlkarten wird erst am Montag ausgezählt. Das entspricht fast 14 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung. Wenn die Wahlbeteiligung wie bei der ersten Runde im April bei 68 Prozent liegt, wären es über 20 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Vieles spricht allerdings dafür, dass die Wahlbeteiligung diesmal steigen wird. Denn beide Lager haben in den vergangenen Tagen alles unternommen, um die Unentschlossenen zu mobilisieren.
Blamage bei der ersten Runde
Die Unsicherheit ist so groß, weil die Medien und die Meinungsforschungsinstitute keine Umfragen veröffentlicht haben. Zu groß war die Blamage bei der ersten Runde. Denn kein Institut hatte den enormen Vorsprung des rechtsnationalistischen Norbert Hofer vorausgesagt. Die jüngste Gallup-Umfrage ist mehr als eine Woche alt und berücksichtigt den Antritt des neuen SPÖ-Bundeskanzlers Christian Kern noch nicht.
Die Aufbruchsstimmung, die er zu verbreiten verstand, könnte viele Protestwähler besänftigen. Die Demoskopen können das Wahlverhalten der Anhänger der Regierungsparteien nicht einschätzen, wenn erstmals ihre Kandidaten nicht vertreten sind. Die Buchmacher sehen Hofer vorne. Allerdings viel knapper, als noch vor zwei Wochen.
22 May 2016
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Fast wäre ein Rechtspopulist Präsident von Österreich geworden. Das darf sich nicht wiederholen. Nun sind die Demokraten gefordert.
Hofer und Van der Bellen liegen laut Hochrechnung – inklusive Briefwahl-Schätzung – gleichauf. Erst am Nachmittag soll das Endergebnis vorliegen.
Die erste Zählung bringt keine Klarheit. Beide Kandidaten erreichen ein Ergebnis um 50 Prozent. Ein verbindliches Ergebnis wird es erst am Montag geben.
Der Grüne Alexander Van der Bellen öffnete seine Partei für bürgerliche Wähler. Der ehemalige Sozi ist keiner, der polarisiert – bislang mit Erfolg.
Norbert Hofers Parlamentsbüro ist ein Biotop für Leute, die man als Schnittstelle zum Neonazi-Milieu sehen kann. Er kann aber auch anders.
Die Satellitenstadt Seestadt Aspern ist ein Prestigeprojekt der rot-grünen Wiener Stadtregierung. Trotzdem wählen viele die rechte FPÖ.
Die Kandidaten hielten sich beim Fernsehduell zurück. FPÖ-Kandidat Hofer verstrickte sich in Widersprüche über seinen Israel-Besuch.
Österreich bekommt einen neuen sozialdemokratischen Kanzler. Die Umstände des Wechsels beschreibt Autorin Marlene Streeruwitz mit einem Wort: unheimlich.