taz.de -- Kommentar Armenien-Resolution: Reaktionäre Heimatkundler
Deutsch-türkische Verbände protestieren gegen die Armenienresolution des Bundestages. Das ist borniert und schwächt ihre Glaubwürdigkeit.
Wenn deutschtürkische Verbände in Berlin gegen die geplante Armenienresolution des Bundestags protestieren, dann ist das ihr gutes Recht. Ob sie sich mit der – zahlenmäßig eher dürftigen – Veranstaltung aber einen Gefallen getan haben, steht auf einem anderen Blatt.
Der Protest gegen die Einstufung der Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren als Völkermord dokumentiert zum einen die doppelte Identität mancher Deutschtürken, denen die Verehrung ihrer vermeintlichen Heimat ein hohes Gut ist, obwohl die meisten unter ihnen dort nicht geboren wurden. Solche Art von Verbundenheit kennen wir aus Einwanderungsgesellschaften wie den USA, wo etwa Iren und Griechen ihre Heimatfeste feiern, als kämen sie direkt aus Dublin oder Piräus. Tatsächlich sind sie leidenschaftliche Amerikaner.
Es ist gegen diese Art Folklore überhaupt nichts einzuwenden, solange die Beteiligten damit die fundamentalen Werte ihrer tatsächlichen Heimat nicht ins Gegenteil verkehren wollen. Genau in diese Gefahr aber begeben sich diese heimattreuen Deutschtürken.
Denn ihr Protest vermittelt den fatalen Eindruck, von der Türkei ferngesteuert zu sein. In seinem Ziel unterscheidet er sich nicht von den Vorstellungen Ankaras. Vor allem aber plädieren die Demonstranten in einem Land, das die Schuld an der Schoah trägt und sich zumindest darum bemüht, sich dieser Verantwortung zu stellen, für die Leugnung der Geschichte, wenn sie wehtut.
Das ist die Vorstellung eines bornierten Geschichtsbildes, in dem nicht sein darf, was dem nationalen Narrativ widerspricht. Das steht nicht nur historischen Kenntnissen entgegen, es wendet sich auch gegen ein Gesellschaftsbild, das zur Stiftung einer eigenen Identität nicht auf Feindbilder zurückgreifen muss.
Die deutschtürkischen Verbände arbeiten tagtäglich für die Integration ihrer Migranten. Wenn sie in der Armenierfrage das Gegenteil davon tun, stärkt das nicht ihre Glaubwürdigkeit.
29 May 2016
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Nützt den Armeniern der Beschluss des Bundestages? Der Chefredakteur der armenisch-türkischen Zeitung „Agos“ fordert ein größeres deutsches Engagement.
Der Bundestag verabschiedet die Erklärung zum Völkermord an den Armeniern. Nur ein Abgeordneter stimmt dagegen, einige Politiker fehlen.
Der Armenien-Resolution muss eine Namibia-Resolution folgen. Denn auch in der deutschen Kolonialgeschichte gab es einen Genozid.
Gärtner Norik Poghosjan pflegt den Park der Genozid-Gedenkstätte in Eriwan. Es ist auch die Geschichte seiner Familie, die hier gewürdigt wird.
Im Parlament soll die Armenien-Resolution beschlossen werden. Das könnte der türkischen Führung und der Bundesregierung sogar nutzen.
Die Abstimmung ist vor allem heikel für Abgeordnete aus Wahlkreisen, in denen viele türkischstämmige Bürger leben. Proteste gab es bereits.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, hat die geplante Resolution kritisiert. Dadurch würden die Türen eher zugeschlagen statt geöffnet.
Türkische Organisationen wollen verhindern, dass der Bundestag eine Resolution zum Völkermord an den Armeniern verabschiedet.
Grüne, SPD und Union wollen in einer Resolution den Armenier-Genozid verurteilen. Schlechtes Timing für Merkel – sie reist in die Türkei.
Für die Dresdner Sinfoniker ist „Aghet“ ein Versöhnungsprojekt. Die Türkei lehnt diese Erinnerung an den Völkermord an Armeniern jedoch ab.