taz.de -- Kolumne Liebeserklärung: Von Wichserern und Wankerern
Der Ex-Bürgermeister von London hat mit einem Schmäh-Limerick über Erdoğan einen Preis gewonnen. Natürlich geht es um eine Ziege.
Ein Achteltürke hat den Jan-Böhmermann-Solidaritätspreis in Großbritannien gewonnen. Die Teilnehmer mussten ein beleidigendes Erdoğan-Gedicht verfassen. Sieger wurde Londons Exbürgermeister Boris Johnson, dessen Urgroßvater Türke war.
Preisrichter Douglas Murray sagte: „Wir brauchen keinen Richter und erst recht keinen deutschen Richter, der uns darüber instruiert, was wir lustig finden dürfen.“ [1][Natürlich geht es in dem Limerick um eine Ziege.]
Grob übersetzt lautet das poetische Kleinod so: „Da war ein junger Typ aus Ankara, der ein toller Wichserer[!] war, bis er seinen wilden Hafer mithilfe einer Ziege säte, aber er hat sich nicht mal bei ihr bedankt.“
Johnson hat gegenüber Böhmermann freilich den Vorteil, dass er Unterhausabgeordneter ist und von Großbritannien nicht an die Türkei ausgeliefert werden darf, sosehr David Cameron seinen Widersacher auch loswerden möchte. Im Gegensatz zum Premierminister ist der Trump-Klon, der genauso verblondet ist wie sein Überseependant, für den Brexit: Die EU wolle ähnlich wie Adolf Hitler den europäischen Kontinent dominieren, hat Johnson recherchiert.
Der Erdoğan-Gedicht-Wettbewerb war vom Spectator ausgeschrieben worden. Es gab Tausende Einsendungen. Dass Johnson früher Chefredakteur der Zeitschrift war, hat die Entscheidung der Jury nicht beeinflusst. In England geht es schließlich mit rechten Dingen zu – im Gegensatz zur Türkei, das im Englischen Turkey heißt wie das Geflügel, das der Engländer zu Weihnachten verspeist.
In Deutschland hat das Gedicht mehr Aufsehen erregt als in Großbritannien. Beherzt präsentierte es die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf ihrer Website, solange es „noch in voller Länge legal zitierbar“ sei. Plötzlich verließ das Blatt aber der Mut, [2][und man zensierte sich vorsichtshalber selbst: „w**kerer“ heißt es bei der FAZ.] Eine Sternstunde der freien Meinungsäußerung. Dabei gibt es „wankerer“ gar nicht, aber es musste sich auf Ankara reimen, sonst wäre der Limerick hinüber gewesen.
20 May 2016
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Das Landgericht Hamburg verhandelte über Erdoğans Unterlassungsklage gegen Böhmermanns Gedicht. Die Entscheidung wurde vertagt.
Das Verfahren gegen den Satiriker Böhmermann wurde eingestellt. Sein Erdoğan-Gedicht „Schmähkritik“ ist durch das Grundgesetz geschützt.
Das Landgericht Hamburg erlässt eine einstweilige Verfügung gegen Jan Böhmermann. Er darf Teile des Gedichts über Erdoğan nicht öffentlich wiederholen.
Alarmismus und Träumerei. Den Briten werden Alternativen präsentiert, die kaum etwas mit Europas Realität zu tun haben.
Aus der Geschichte der Beleidigungen: Eine dringend notwendige und abschließende Übersicht der wichtigsten historischen Schimpfdichtungen.
Jan Böhmermann ist weder Lümmel noch Märtyrer. Er ist genau der hyperrechtschaffene Hofnarr, den unsere Republik sich gern hält.
Kanzlerin Merkel erlaubt Ermittlungen gegen Böhmermann. Der Koalitionspartner schäumt und überhört die Kritik an Erdoğan.
Kennen Sie schon alle Meinungen zu Böhmermann? Stürzt Merkel über einen Satiriker? Gibt es einen neuen Türkei-Deal? Das Debatten-ABC.
Eine Sonderform der Beleidigung: Böhmermann ging es nicht nur um ein kurzes Beispiel – er präsentierte ganze sechs Strophen des „Schmähgedichts“.