taz.de -- Korruption in Brasilien: Roussef und Lula unter Verdacht
Neben dem Amtsenthebungsverfahren hat Brasiliens Präsidentin jetzt auch noch den Staatsanwalt am Hals – wie viele andere hochrangige Politiker auch.
Rio de Janeiro epd | In Brasilien geraten Präsidentin Dilma Rousseff, Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und weitere hohe Regierungspolitiker ins Visier der Korruptionsermittlungen. Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot bat den Obersten Gerichtshof am Dienstag (Ortszeit) um Genehmigung, die Ermittlungen auf die Präsidentin und ihren Amtsvorgänger auszuweiten, wie die Zeitung „O Globo“ in ihrer Onlineausgabe berichtete.
Neben Rousseff und Lula verdächtigt Janot auch den Regierungssekretär Ricardo Berzoini und Staatsminister Jaques Wagner. Damit gerät fast die gesamte Führungsspitze der regierenden Arbeiterpartei PT in Verdacht, in den riesigen Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras verwickelt zu sein.
Es ist das erste Mal, dass Rousseff selbst mit dem Korruptionsskandal in Verbindung gebracht wird. Der Generalstaatsanwalt wirft ihr vor, die Ermittlungen der Justiz behindert zu haben. Dabei geht es laut Janot um die Ernennung eines angeblich regierungsfreundlichen Richters und um die versuchte Ernennung von Lula zum Minister, um ihn vor juristischer Verfolgung in Schutz zu nehmen. Auch der Chef-Verteidiger der Regierung, der ehemalige Justizminister José Eduardo Cardozo, soll der Justizbehinderung angeklagt werden.
Präsidentin Rousseff ist bereits mit einem Amtsenthebungsverfahren konfrontiert. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass der Senat Rousseff in der kommenden Woche vorläufig ihres Amtes entheben wird. Die spektakulären Ermittlungen im Korruptionsskandal und eine anhaltende Wirtschaftskrise haben die Regierung Rousseff an den Rand des Abgrunds gebracht.
Verstrickte Opposition
Der Ermittlungsantrag schwächt die Position der bereits angeschlagenen Präsidentin. Ihr Vorgänger Lula war bisher lediglich wegen des mutmaßlichen Besitzes von zwei Immobilien und möglichen Gefälligkeiten großer Bauunternehmen verdächtigt worden. Jetzt erklärte Janot, dass „die kriminelle Organisation niemals ohne Lulas Wissen“ funktioniert hätte.
Grundlage des Ermittlungsgesuchs ist eine Kronzeugenaussage des parteilosen Senators Delcídio Amaral. Insgesamt will Janot gegen knapp 30 weitere Personen ermitteln. Der Verdacht richtet sich neben den PT-Spitzen gegen mehrere Politiker, die kürzlich die Koalition verlassen haben und kommende Woche eine neue Regierung bilden wollen, unter ihnen der umstrittene Parlamentspräsident Eduardo Cunha.
Erst am Montag hatte Janot die Ermittlungen auf führende Oppositionspolitiker ausgeweitet. Der Senator und Vorsitzende der konservativen Partei PSDB, Aécio Neves, steht demnach ebenfalls im Verdacht der Bestechung und Geldwäsche. Auch mehrere Führungskräfte der Zentrumspartei PMDB stehen im Verdacht, in den Petrobras-Skandal verwickelt zu sein. Der PMDB gehört Vizepräsident Michel Temer an, der Rousseff im Falle einer Amtsenthebung im höchsten Staatsamt beerben würde.
In dem Korruptionsskandal geht es um ein Kartell von großen Bauunternehmen, die durch Bestechung sehr lukrative und überteuerte Aufträge von Petrobras ergatterten. Das Bestechungsgeld floss in die Taschen korrupter Politiker und an politische Parteien aller Couleur.
Im Amtsenthebungsverfahren werden Rousseff Regelverstöße beim Umgang mit Staatsgeldern und Buchhaltungstricks im Staatshaushalt vorgeworfen. Eine direkte Verwicklung in die Petrobras-Korruptionsaffäre wurde ihr bisher nicht vorgeworfen. Einen Rücktritt hat die Präsidentin an der Spitze einer Mitte-Links-Regierung kategorisch ausgeschlossen.
4 May 2016
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Der Senat beschließt das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff. An ihre Stelle rückt nun der bisherige Vize Michel Temer.
Das südamerikanische Land steht vor einer Zeitenwende. Die Amtsenthebung von Präsidentin Rousseff kommt, der Neue will Renten und Löhne kürzen.
Niemand zweifelt daran, dass Dilma Rousseff per Amtsenthebung entmachtet wird. Für den „Putsch“ war nicht einmal mehr Militär nötig.
Die Präsidentin ist unbeliebt, der mögliche Nachfolger ist es auch. Das Land ist gespalten, die Situation überfordert sogar die Stammtische.
Parlamentspräsident Maranhão hat seinen Widerstand gegen die Amtsenthebung der Staatschefin aufgegeben. Der Senat stimmt am Mittwoch über ihr Schicksal ab.
Zurück auf Los: Das Ergebnis der Parlamentsabstimmung von Mitte April ist wegen „Vorverurteilung“ der Präsidentin aufgehoben.
Das Stauwerk Belo Monte ist eines der weltweit größten und soll 60 Millionen Menschen versorgen. Gegner kritisieren die Folgen für Umwelt und Ureinwohner.
Nicht nur die Präsidentin, auch ihr Gegenspieler Aécio Neves steht unter Korruptionsverdacht. Er soll Geld gewaschen und öffentliche Gelder veruntreut haben.
Brasilianer brauchen keine TV-Serien wie „House of Cards“ – sie haben die reale Politik. Eine wahre Geschichte in drei Staffeln.
Die Parlamentarier in Brasília haben abgestimmt: Sie wollen Präsidentin Dilma Rousseff stürzen. Wegen Korruption. Das ist absurd.
Für Aufträge des Staatskonzerns Petrobas in Brasilien sollen 800 Millionen Dollar Bestechungsgeld geflossen sein. Nun ermitteln Staatsanwälte gegen die Politiker.