taz.de -- Kommentar NSU und Verfassungsschutz: Das hohle Versprechen

NSU-Mörder Uwe Mundlos hatte mehr mit V-Leuten zu tun als bekannt. „Wir tun alles“ für die Aufklärung? Nur eine Phrase.
Bild: Ismael Yozgat bei der zehnjährigen Gedenkfeier für seinen von der NSU ermordeten Sohns Halit

Es gab da mal ein Versprechen der Bundeskanzlerin. „Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken“, sagte Angela Merkel den Opfern der NSU-Verbrechen zu. Das war nur wenige Wochen, nachdem 2011 bekannt geworden war, dass die Rechtsterroristen jahrelang mordend durchs Land gezogen waren. Ungestört. Die Sicherheitsbehörden verdächtigten stattdessen die Opfer und deren Umfeld.

Wie viel Merkels Versprechen zählt, zeigt sich nun dieser Tage wieder: verdammt wenig. Die jüngste Wendung – ein V-Mann soll während der Mordserie das NSU-Mitglied Uwe Mundlos in seiner Firma beschäftigt haben – illustriert dies in aller Klarheit. Erneut zeigt sich, wie offen das „abgetauchte“ NSU-Trio auftrat, wie sicher es sich wähnte. Eine Arbeitsstelle auf dem Bau, einsehbar von Passanten. In Zwickau, nicht weit entfernt von Thüringen, dem Ort des Abtauchens. Und niemand bekam das mit? Nicht der Arbeitgeber, der V-Mann? Nicht dessen Auftraggeber, der Verfassungsschutz?

Es braucht inzwischen den größeren Glauben, diese Variante anzunehmen, als das Gegenteil. Mindestens die rechtsextreme Szene wusste sehr genau über den Verbleib des Trios Bescheid.

Für den Verfassungsschutz hat das zwei mögliche Konsequenzen. Entweder beweist der Fall erneut das Scheitern des V-Leute-Systems: Die entscheidenden Informationen erhält das Amt nicht, obwohl sein Spitzel mittendrin ist. Oder: Der Geheimdienst wusste Bescheid. Das würde das Land in eine Staatskrise stürzen.

Was folgt daraus? Offenbar nichts. Und das ist das nachhaltig Erschreckende. Das V-Mann-Wesen wurde erst vor wenigen Monaten durch eine „Reform“ manifestiert. Nicht nur zu dem Zwickauer V-Mann wurden Akten geschreddert, Verfassungsschutz und Regierung verweigern bis heute Auskünfte. Auch brauchte es Journalisten, nicht Ermittler des BKA, um dieses Puzzleteil aufzudecken. „Wir tun alles“ für die Aufklärung? Nur eine Phrase.

Die NSU-Verbrechen seien eine Schande für Deutschland, sagte Merkel auch. Die Nichtaufklärung der Sicherheitsbehörden ist es inzwischen ebenso.

7 Apr 2016

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Konrad Litschko

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