taz.de -- Kommentar Deutsche Flüchtlingspolitik: Her mit den Kontingenten!

Es gibt Wege, um wenigstens einem Teil der Flüchtlinge aus Syrien den Weg nach Europa zu öffnen. Diese müssen zügig beschritten werden.
Bild: Bei Idomeni warten die Menschen auf eine Lösung, und die kann nur aus Deutschland kommen

Den Mann sollte man beim Wort nehmen. Kanzleramtschef Peter Altmaier, der auch Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung ist, hat [1][am Dienstag im taz-Interview] gefordert, die EU-Länder müssten zusätzlich freiwillige Kontingente von Flüchtlingen aufnehmen. Zusätzlich heißt: jenseits der maximal 72.000 SyrerInnen, die die EU im Zuge des schmutzigen 1:1-Deals mit der Türkei aufzunehmen versprochen hat.

Die Bundeskanzlerin genießt noch immer den Ruf, flüchtlingsfreundlich und humanitär zu handeln, auch wenn ihre Bundesregierung das hiesige Asylrecht weitgehend abgeräumt hat. Jetzt könnte sie diesem Ruf gerecht werden und zusagen, dass Deutschland in den kommenden Jahren ein Kontingent von jährlich 200.000 Flüchtlingen aufnehmen wird.

200.000 Menschen pro Jahr in Deutschland zu integrieren – das hält selbst der Scharfmacher der Union, Horst Seehofer, für machbar. Unzählige Male wiederholte er in der Diskussion über Obergrenzen diese Zahl, der sich sogar Teile der AfD anschlossen. Ohnehin sollte die Regierung nicht zu viel Angst vor den Rechtspopulisten haben: Gerade hat eine vergleichende Umfrage des renommierten Ifop-Instituts erneut gezeigt, dass 72 Prozent der Deutschen weiterhin der Ansicht sind, es sei schlicht und einfach „die Pflicht unseres Landes“, Verfolgte oder Notleidende aufzunehmen.

Ein Vorpreschen der Deutschen muss auch den Druck auf die Türkei und die EU nicht mindern, beide Seiten der eingegangenen Verpflichtung einzuhalten – wie es in der Politik vielleicht befürchtet wird. Das wäre dann nicht der Fall, wenn die von Deutschland aufgenommenen Kontingentflüchtlinge auch aus Ländern wie Jordanien und dem Libanon kämen, die wie die Türkei einen riesigen Anteil der aus dem syrischen Bürgerkrieg Geflüchteten aufgenommen haben.

In ähnlicher Weise verfuhr Deutschland zum Beispiel vor acht Jahren schon einmal. Damals beschloss die Bundesregierung, irakischen Flüchtlingen aus Syrien und Jordanien eine neue Heimat zu geben. Mitarbeiter des zuständigen Bundesamts wählten gemeinsam mit dem UNHCR vor Ort die Flüchtlinge nach drei Kriterien aus: Schutzbedürftigkeit, Integrationsfähigkeit und die Frage, ob es bereits Angehörige in Deutschland gibt.

Daran sollte die Bundesregierung anknüpfen. Schnellstmöglich.

5 Apr 2016

LINKS

[1] /Peter-Altmaier-ueber-Fluechtlingspolitik/!5292055/

AUTOREN

Sabine am Orde

TAGS

Schwerpunkt Flucht
Kontingente
Schwerpunkt Türkei
UNHCR
Schwerpunkt AfD
Flüchtlinge
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Schwerpunkt Flucht

ARTIKEL ZUM THEMA

Bayern gegen die Bundesregierung: Grenzen offen, Seehofer ruhig

Die Grenze ist für Flüchtlinge immer noch geöffnet, doch Bayern will die Bundesregierung nicht mehr verklagen. Die CSU verkauft das als Sieg.

Kommentar Aufstände in Idomeni: Kalkulierte Hoffnungslosigkeit

Das Schicksal der Flüchtlinge von Idomeni wird im übrigen Europa verdrängt. Es ist ihr gutes Recht, auf sich aufmerksam zu machen.

Geflüchtete in Deutschland: Die Folgen der Abschottung

Im vergangenen Monat kamen nur noch rund 20.000 Geflüchtete nach Deutschland. Für eine Jahresprognose sei es aber noch zu früh, so der Bundesinnenminister.

EU-Vorschlag für Asylrechtsreform: Tschechien und Slowakei wollen nicht

Die Regierung in Prag hält einen ständigen Mechanismus zur Verteilung von Geflüchteten für „inakzeptabel“. Auch die slowakische Regierung bleibt beim Nein.

Flüchtlingsdeal zwischen EU und Türkei: Koalition streitet über Kontingente

Kanzleramtsminister Altmaier will mehr Kontingente für Flüchtlinge. SPD und Grüne sind dafür. Die CSU sieht andere EU-Staaten in der Pflicht.

Peter Altmaier über Flüchtlingspolitik: „Nicht die Finger schmutzigmachen“

Eine Million Flüchtlinge sind 2015 nach Deutschland gekommen. Kanzleramtschef Altmaier über die Politik der Regierung, die EU und den Pakt mit der Türkei.

Flüchtlinge in Europa: Steinmeier kritisiert Grenzschließung

Der Bundesaußenminister kritisiert, dass die Balkanroute für Flüchtlinge dicht gemacht wurde. Zugleich verteidigt er das Abkommen mit der Türkei.