taz.de -- Türkischer Journalist muss in Haft: Der Erdoğan-Kritiker

Er schrieb über die korrupte türkische Präsidentenfamilie. Jetzt muss „Birgün“-Chef Bariş İnce dafür mit 21 Monaten Haft büßen.
Bild: Lässt sich nicht einschüchtern: Barış İnce.

Berlin taz | Barış İnce ist ein bemerkenswerter junger Mann. Mit knapp 30 Jahren fungiert er bereits als Chefredakteur der linken türkischen Tageszeitung Birgün, was bedeutet, die presserechtliche Verantwortung für sein Blatt zu übernehmen. Deshalb wurde er nun angeklagt und wegen Beleidigung des Staatsoberhaupts Recep Tayyip Erdoğan zu 21 Monaten Haft verurteilt. Anlass war ein Artikel über die Korruption der Erdoğan-Familie.

Barış İnce ist bei weitem nicht der einzige Journalist oder Autor, dem das in den letzten zwei Jahren passiert ist. Rund 2.000-mal haben Anwälte Erdoğans seit dessen Wahl zum Präsidenten im August 2004 wegen Beleidigung des Staatsoberhauptes geklagt – aber İnce ist einer der mutigsten.

Seine frech formulierte Verteidigungsrede, die die Zeitung Cumhuriyet gestern abdruckte, ist so formuliert, dass sich aus den jeweiligen Anfangsbuchstaben jeden Absatzes zwei Wörter ergeben: „Hırsız Erdoğan“, übersetzt „Dieb Erdogan“. Auf dieses Formulierungskunststück antwortete der Staatsanwalt mit einer neuerlichen Anklage wegen Beleidigung.

Noch muss İnce nicht ins Gefängnis, weil er gegen das Urteil Berufung eingelegt hat. Am Ende wird aber mindestens eine heftige Geldstrafe herauskommen, die dann den sowieso schon schmalen Etat von Birgün belastet. Dahinter steckt durchaus System: Die kleine Oppositionszeitung soll durch eine Häufung von Beleidigungsklagen in den Ruin getrieben werden. Doch İnce und seine Kollegen lassen sich nicht einschüchtern. Mit einer groß angelegten Rettungskampagne sammeln sie Spenden bei ihren Lesern.

Barış İnce ist seit einigen Jahren bei Birgün. Er hätte auch keine Angst, ins Gefängnis zu gehen, sag er: Jeder Journalist in der Türkei müsse damit rechnen. Birgün gehört zu den wenigen Zeitungen in der Türkei, die sich noch trauen, Erdoğan öffentlich zu kritisieren. Die oppositionellen Medien der [1][Zaman-Gruppe] sind gerade unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt worden und die [2][Chefredakteure der linksliberalen Cumhuriyet] sind mit einer Anklage konfrontiert, die sie wegen angeblicher Spionage lebenslang ins Gefängnis bringen will.

9 Mar 2016

LINKS

[1] /Pressefreiheit-in-der-Tuerkei/!5284108/
[2] /Freigelassene-%E2%80%9ECumhuriyet%E2%80%9C-Reporter/!5284019/

AUTOREN

Jürgen Gottschlich

TAGS

Schwerpunkt Türkei
Medien
Cumhuriyet
Zaman
Journalismus
Kolumne Stadtgespräch
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Zaman
Zaman
Zaman
Zaman
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei

ARTIKEL ZUM THEMA

Korruption in der Türkei: Wo sind sie, die Milliarden?

Eine gigantische Summe der Zentralbank ist verschwunden. Mit Aktionen macht die Opposition darauf aufmerksam. Präsident Erdogan schickt die Polizei.

Diplomaten bei Prozess gegen Journalisten: Erdogan bekommt einen Wutanfall

Der türkische Präsident hat sich öffentlich über die Anwesenheit von Diplomaten beim Prozess gegen Can Dündar empört. Auch der deutsche Botschafter war dort.

Pressefreiheit in der Türkei: Die Repression hat Tradition

Öffentliche Hetztiraden und ein fragwürdiges Akkreditierungsverfahren: Wie die Regierung versucht, ausländische Journalisten loszuwerden.

Journalistenprozess in der Türkei: Wegen Tumult abgebrochen

Die Verhandlung gegen Cumhuriyet-Journalisten, die sich mit Erdogan angelegt hatten, ist vertagt worden. Es war zu Handgreiflichkeiten gekommen.

First Lady der Türkei: Die Frau des neuen Sultans

Emine Erdoğan hat den Harem wiederentdeckt. Der ist natürlich kein Sündenpfuhl. Sondern ein Ort, an dem die gute Türkin alles übers Nähen lernt.

Deutsche Ausgabe von „Zaman“: Weiter gegen Erdoğan

„Zaman Deutschland“ will regierungskritisch bleiben – auch wenn das türkische Mutterblatt auf Staatslinie gebracht wurde.

Medienzensur in der Türkei: Newsagentur unter Zwangsaufsicht

Weitere Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei: Nun wurde auch die Nachrichtenagentur Cihan Ajansi unter staatliche Kontrolle gestellt.

Kommentar Pressefreiheit in der Türkei: Feindliche Übernahme

Das Ziel des türkischen Präsidenten ist offensichtlich. In der Türkei soll nur noch das Loblied Erdoğans gesungen werden.

Pressefreiheit in der Türkei: Polizei stürmt „Zaman“-Redaktion

Die Zeitung „Zaman“ ist ab sofort staatlicher Kontrolle unterstellt. Das Redaktionsgebäude wurde am Freitag von der Polizei eingenommen.

Freigelassene „Cumhuriyet“-Reporter: Erdogan will Haft für Journalisten

Die türkischen Journalisten Dündar und Gül wurden zwar freigelassen. Doch Präsident Erdogan fordert die erneute Inhaftierung der beiden.

Unabhängige Medien in der Türkei: Von der EU im Stich gelassen

Immer mehr kritische Journalisten werden verfolgt. Mit einer Kampagne will Reporter ohne Grenzen nun mehr Druck auf die Regierung ausüben.

Pressefreiheit in der Türkei: Erneut drei Journalisten vor Gericht

In Istanbul stehen schon wieder drei regierungskritische Journalisten vor Gericht – sie sollen Erdogan beleidigt haben. Die Anklage fordert bis zu vier Jahre Haft.

Linksradikale türkische Tageszeitung: Konsequente Opposition

Trotz der Repression gegen Medien in der Türkei floriert die Zeitung „BirGün“. Doch eine Sache macht dem Geschäftsführer große Sorgen.