taz.de -- Die Wahrheit: Zu Weihnachten ein Gläschen Schweiß

Grausam, grausam: In der staden Zeit versagen die kulinarischen Geschmacksnerven der Briten auf ganzer Linie.
Bild: Logo: Mehr Feiertage bedeuten mehr freie Tage – die sich schnell zu einer freien Woche ausdehnen können.

Die Engländer arbeiten seit Jahren emsig daran, ihren Ruf als kulinarisches Katastrophengebiet loszuwerden. Sie lassen sogar einheimische Köche im Fernsehen auftreten, die nicht nur Lämmer mit Pfefferminzsoße übergießen, sondern auch Kochbücher veröffentlicht haben, die über Variationen von Roast Beef mit zerkochtem Gemüse hinausgehen. Doch dann steht Weihnachten vor der Tür, und das mühsam erarbeitete Renommee ist wieder futsch.

Traditionell serviert man in England zum Fest Truthahn mit Tütensoße, Rosenkohl, Möhren, Röstkartoffeln, Stampfkartoffeln, Pommes frites und Yorkshire-Pudding. Das ist nicht sonderlich aufregend, aber es ist immerhin essbar. In diesem Jahr können es sich die Engländer einfacher machen – mit „Pot Noodle“. Das ist so etwas wie die Fünf-Minuten-Terrine, bei der selbst Kleinkinder nichts falsch machen können: Man kippt heißes Wasser auf den gelben Klumpen im Plastikbecher, wartet fünf Minuten und rührt dann um – fertig. Zu Weihnachten, Französisch noël, hat der Hersteller „Christmas Dinner“ auf den Becher gedruckt und das grauenhafte Gebilde „Pot Noeldle“ genannt. Offenbar gibt es in der Firma keine Kalauerkasse.

Jahrezeitengemäß werden auch Kartoffelchips mit Prosecco und Holunderbeeren sowie Popcorn mit Rosenkohlglasur angeboten. Und es gibt ein Fruchtsaftgetränk, das Weihnachtsglitzer enthält – falls man das Lametta für den Baum vergessen hat. Im Vergleich mit den Produkten, die Jones Soda sonst auf den Markt gebracht hat, erscheint die Glitzerbrause aber durchaus appetitlich. Der amerikanische Konzern ist für „ungewöhnliche Geschmacksrichtungen“ berüchtigt. Zu Thanksgiving hat man Limonade mit Truthahngeschmack und Bratensauce verkauft.

Für den englischen Markt gibt es zu Weihnachten Rosenkohllimonade sowie Brause als Grüne-Bohnen-Eintopf, Quetschkartoffeln mit Butter, Brokkoli und Maiskolben. Ja, wir reden hier immer noch von Limonade. Das Zeug geht weg wie warme Semmeln – apropos, wäre Warme-Semmel-Limonade nicht etwas für den bayerischen Markt? Selbst die leeren Flaschen dieser Horroraromen erzielen bei Ebay Spitzenpreise, weil sie angeblich nur in begrenzter Menge hergestellt wurden.

Die Geschäftsführung von Jones Soda hat sich durch die blinde Kaufwut der Kundschaft offenbar ermutigen lassen, noch klotzköpfigere Geschmacksrichtungen zu mixen. So gibt es eine „Sonderedition für Sammler“. Dazu gehören „Schmutz“, „süßer Sieg“ und „Schweiß“. Dem Label ist nicht zu entnehmen, um wessen Schweiß es sich handelt. Vermutlich ist es der von Peter van Stolk, der die Firma 1986 gegründet hat und nun beim Geldscheffeln ins Schwitzen gerät.

Als Sonderedition ist eine Torfbrause für Schotten erhältlich: Whiskytrinker können eine Billigmarke dank der Limonade mit Torfgeschmack veredeln. Und zum Nachtisch gibt es Erdnussbutterbrause mit Gelatine. Würg. Trotzdem fröhliche Weihnachten, liebe Wahrheit-Leserinnen und -Leser.

21 Dec 2015

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