taz.de -- Kolumne Gefühlte Temperatur: Ausnahmslos Ausnahmezustand
Das Café Bonne Bière in Paris, wo beim Terror im November fünf Menschen den Tod fanden, ist wieder geöffnet. Die Polizisten blieben.
„Madame“, ruft einer der drei Männer der Police Nationale. Es klingt nicht martialisch, eher flehentlich. Der Polizist nestelt an seinem Sturmgewehr, sperrig ist seine Körpersprache ob der dick gepolsterten Schussweste. „Madame, bitte bewegen Sie sich fort von hier.“ Madame liegt par terre, Madame ist obdachlos, und Madame denkt nicht daran, sich fortzubewegen.
Fort aus diesem Waschsalon, der um die Ecke ist beim Café Bonne Bière und der Pizzeria Casa Nostra, wo am 13. November fünf Menschen den Tod fanden. Das Bonne Bière hat seit Freitag früh um acht wieder geöffnet, und das über ihm liegende Hostel „Absolute Paris“ ist ebenso in Betrieb.
Rollkoffer ziehen vorbei an einem Blumenmeer, an Kerzen, vorbei an einem Plakat „Les Syriéns de Paris avec vous“, die Pariser Syrer stehen zu euch. Man denkt an das karnevalesk klingende Wort „Schießerei“, an Kindergeburtstage, wo die „Reise nach Jerusalem“ gespielt wurde, nein, nicht die „Reise nach Damaskus“. Immer war ein Kind das gelackmeierte.
Über den Besitzer des schräg gegenüber liegenden Italieners Casa Nostra geht das Gerücht hier um, dass er für 50.000 Euro die Aufnahmen seiner Überwachungskamera an die BBC ver- und sich von dem Geld ein neues Auto gekauft habe.
Die Kosten für die Sicherheitsmaßnahmen auf der laufenden Klimakonferenz draußen in Le Bourget belaufen sich auf Millionen von Euro. Realität wird auch immer teurer. Die Preise in Pariser Waschsalons sind dagegen im vergangenen Jahr stabil geblieben, und Madame la clochard bleibt erst mal vor Ort par terre liegen. Die Polizisten ziehen unverrichteter Dinge und das Gewehr im Anschlag wieder ab. „Leise flehen meine Lieder“ heißt ein Stück des österreichischen Komponisten Franz Schubert. Es geht einem durchs Herz in Paris.
4 Dec 2015
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