taz.de -- Hans Magnus Enzensberger im ZDF: Der ewig 16-Jährige

In der ZDF-Reihe „Zeugen des Jahrhunderts“ spricht Gero von Boehm mit Hans Magnus Enzensberger. Der ist noch renitent-ironisch-rotziger als früher.
Bild: Lässt sich auf Unangenehmes wie Müll runtertragen oder Fehler eingestehen gar nicht erst ein: Hans Magnus Enzensberger (r.).

Dass Hans Magnus Enzensberger, geboren am 11. November 1929, das vergangene Jahrhundert intensiv durchlebt hat, lässt sich wohl nur von ihm selbst bestreiten. Im Gespräch mit Gero von Boehm fragt er denn auch, ob das mit dem Jahrhundertzeugen nicht „bisschen hoch gegriffen“ sei und steigert sich zum ultrakoketten „Ich bin so klug wie Sie, Herr von Boehm“. Was der Fragesteller des ZDF-Traditionsformats (seit 1979) entsprechend beschämt zurückweisen muss.

Enzensberger hat Chruschtschow getroffen, auf Kuba Zuckerrohr geerntet und Ulrike Meinhof die Tür gewiesen, er hat Kursbuch und TransAtlantik gegründet und er ist auf den Diskussionsforen Europas – oft in den jeweiligen Landessprachen parlierender –, beständig hochwillkommener Gast.

Enzensberger ist Teil jener Generation deutscher Intellektueller, die mit einem kalt-pubertären Blick auf die Verhältnisse in die Nachnazizeit starten konnte. Neben Heiner Müller (1929), Christa Wolf (1929), Günter Grass (1927), Peter Hacks (1928) – um nur die wichtigsten zu nennen.

Im Greisenalter, in das Enzensberger nun eintritt, scheint sich das renitent-ironisch-rotzige des ewigen 16-Jährigen nochmal zu steigern, der sich auf Unangenehmes wie Müll runtertragen oder Fehler eingestehen gar nicht erst einlässt. Papa von Boehm lässt ihm das durchgehen: „Macht doch nix“ ist etwa Enzensbergers schmunzelnder Kommentar zu seinem überflüssigen Saddam-Hitler-Vergleich (1991) und an der RAF stört ihn sympathischerweise vor allem die Dummheit, weniger die Taten.

Mit Enzensberger verabschiedet sich langsam die letzte Generation, der Privates öffentlich zu machen noch unangenehm ist und die am Dauerjammern nichts Befreiendes finden kann. „Kein Problem“ ist dann auch sein cooles Schlusswort in diesem leider lieblos geschnittenen, aber dennoch empfehlenswerten Gespräch.

14 Nov 2015

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Ambros Waibel

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