taz.de -- Briefe von Fritz Bauer: Der einsame Nazijäger
Dokumente voller Verzweiflung und Hoffnung im Kampf gegen Altnazis: der Briefwechsel zwischen Staatsanwalt Fritz Bauer und Thomas Harlan.
Der Jurist Fritz Bauer (1903-1968) war lange nur einem Fachpublikum bekannt. Das änderte sich in den letzten Jahren. 1995 – fünfzig Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus – wurde das Fritz Bauer Institut gegründet und zu seinem 100. Geburtstag gedachte das Jüdische Museum in Frankfurt am Main Bauers mit einer Ausstellung.
Zwei Biografien von Irmtrud Wojak und Ronen Steinke folgten, die den Streit um Bauers Erbe und einzelne Details in seinem Lebenslauf nicht klären konnten. Lars Kraume drehte den preisgekrönten Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“, der gerade in den Kinos läuft.
Nun ist eine von Werner Renz annotierte, mustergültige Edition von Fritz Bauers Briefen an Thomas Harlan unter dem Titel „Von Gott und der Welt verlassen“ (so Bauer über sich selbst) erschienen. Der Titel trifft die komplexe Persönlichkeit Bauers, der wenigen vertraute, mit wenigen befreundet war und mit seiner Haushälterin ein einsames Privatleben führte.
Als er 1936 wegen seiner jüdischen Herkunft ins Exil musste, ging er eine Scheinehe mit einer Dänin ein. Starke Indizien sprechen für Bauers Homosexualität, aber er tat – aus guten Gründen im bigotten Adenauer-Staat – alles, um dies zu verbergen. Bauer widmete sich ganz seiner Arbeit, ja seiner rechtspolitischen Mission – dem Kampf gegen die nicht einmal halbherzige juristische Aufklärung der Naziverbrechen, worauf sich die grandiose Arbeit von Wojak konzentriert.
Die arbeitsteilig durchgeführten Massenmorde mussten den Tätern einzeln nachgewiesen werden, was mangels Überlebenden, Zeugen und Akten schwer war. Bauer empfand die höchstrichterlich verordnete „Atomisierung des Gewaltgeschehens“ als „Korsett“ und seinem Ziel einer „neuen Pädagogik der Menschlichkeit“ und des „sozialistischen Idealismus“ entgegengesetzt. Seine Hoffnungen setzte er auf die Generation junger Deutscher.
1960 lernte er in Thomas Harlan (1929–2010) einen solchen Deutschen kennen. Thomas Harlan war der Sohn von Veit Harlan (1899–1964), der u. a. den Nazifilm „Jud Süß“ (1940) gedreht hatte. Der Sohn distanzierte sich vom Vater und begann eine private Jagd auf ehemalige Nazis in der BRD. Harlan stellte 2.000 Strafanzeigen und recherchierte auf eigene Faust in polnischen Archiven, bis er auf polnische Nazikollaborateure stieß und prompt verhaftet wurde.
„Verbundenheit und Anhänglichkeit“
Auf Intervention des italienischen Kommunisten Luigi Longo und des linken Verlegers Giangiacomo Feltrinelli kam er frei. Nach Bauers Tod heiratete Harlan 1969 Luisa Orioli di Lajano und wurde bekannt mit Dokumentarfilmen über den Vietnamkrieg, den Putsch in Chile und die Revolution in Portugal. Ein Film über die RAF und die Schleyer-Entführung von 1980 konnte erst 1984 gezeigt werden.
Bauers erster Brief an Harlan vom 1. April 1962 markiert den Beginn einer rührenden Freundschaft. Mit „Verbundenheit und Anhänglichkeit“ bot er Harlan seine Hilfe an im Kampf gegen Altnazis. Bauer gesteht dem 23 Jahre jüngeren Harlan, dass er jemanden brauche, „bei dem ich mich über die Trostlosigkeiten ‚ausweinen‘ kann“. Harlan lebte damals in Ascona, Bauer besuchte ihn gelegentlich und schätzte dabei „viel herzliche Sozialität und Solidarität“ sowie „seelsorgerische Ratschläge“.
Erst im Sommer 1965 zog ein vertrauliches „Du“ in die zarte Freundschaft zwischen den beiden ein. Geprägt wurde die Freundschaft jedoch von einem Gefälle. Bauer ist der Zuneigungsbedürftige, der an zahlreichen Wochenenden Dutzende Male versuchte, Harlan zu erreichen, der sich verleugnete. Einmal nur, als Bauer von Harlans Freundin erfährt, rutschte ihm ein Satz heraus, der die tragische Einseitigkeit der Beziehung in Umrissen erkennen lässt: Bauer schreibt ungeschützt, „meine platonischen Wünsche sind schal angesichts der animalischen Wärme des Tessin“.
Bei einem gemeinsamen Urlaub in Tunesien holte sich Bauer einen Sonnenbrand, den Harlan nach einem „afrikanischen Hausrezept“ mit dem Einreiben frischer Tomaten behandelte, worauf Bauer gestanden haben soll, dass es „das dritte Mal in seinem Leben“ sei, dass er „von einem Menschen berührt“ werde. Der Briefwechsel ist ein anrührendes Dokument von Freundschaft und Trostlosigkeit.
19 Nov 2015
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