taz.de -- Anti-TTIP-Demo in Berlin: Riesige Menge gegen sperrige Kürzel

Es war die größte Demonstration seit dem Irak-Krieg: Bis zu 250.000 Menschen gehen gegen TTIP auf die Straße – und wehren sich gegen Diffamierungen.
Bild: „Heute ist ein großer Tag für die Demokratie“, urteilte der Trägerkreis der Demo hinterher

Berlin taz | Schon die Erwartungen waren hoch: Offiziell wollten die Veranstalter der Demonstration gegen die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta mindestens 50.000 Menschen auf die Straße bringen, intern und gegenüber der Polizei hofften sie im Vorfeld auf 100.000. Gekommen sind am Ende ungefähr doppelt so viele. Genaue Zählungen sind bei einer solchen Größenordnung nicht möglich; die Veranstalter sprachen von 250.000 TeilnehmerInnen, die Polizei schätzte die Zahl der Menschen, die sich von der Siegessäule bis ans Brandenburger Tor stauten, auf 150.000.

Damit hat Berlin am Samstag die größte Demonstration seit über zwölf Jahren erlebt. Selbst die politisch erfolgreiche Anti-Atom-Bewegung mobilisierte an einem Ort niemals mehr als halb so viele Menschen, wie jetzt in Berlin gegen die umstrittenen Freihandelsabkommen demonstriert haben. Eine größere Kundgebung gab es zuletzt am 15. Februar 2003, als schätzungsweise eine halbe Million Menschen gegen den Irak-Krieg auf die Straße gingen.

Dass so viele Menschen gegen die eher sperrigen Kürzel demonstrieren, liegt daran, dass die Handelsabkommen viele Lebensbereiche berühren und sich daher ein ungewöhnlich breites Bündnis zusammengetan hat. Dass ein solches hinter der Veranstaltung steht, wird zwar bei fast jeder Demonstration behauptet; im Fall von TTIP und Ceta ist es aber ausnahmsweise mal wahr.

Aufgerufen haben der Deutsche Gewerkschaftsbund und – wichtig für die konkrete Moblisierung – sämtliche seiner Mitgliedsgewerkschaften. Daneben alle großen Umweltverbände, viele Entwicklungs- und Verbraucherorganisationen, Sozialverbände, aber auch Organisationen wie der deutsche Kulturrat. „Hier demonstrieren Unternehmer zusammen mit Gewerkschaftern, Linksradikale mit CSU-Kommunalpolitikern, Milchbauern mit Veganern“, rief Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz zum Beginn der Abschlusskundgebung. „In dieser Vielfalt werden wir TTIP und Ceta besiegen.“

Gegen TTIP oder für ein besseres Abkommen

Alle RednerInnen äußerten deutliche Kritik an den geplanten Abkommen, weil es die Macht von Konzernen stärke und die Demokratie aushöhle. Im Detail waren jedoch durchaus Unterschiede wahrzunehmen. So sprach sich der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann zwar klar gegen „Geheimdiplomatie“ und private Schiedsgerichte aus, lobte aber auch, dass sich die EU-Kommission bereits bewegt habe: „Ohne unseren Druck, ohne unseren Protest, wäre gar nichts passiert.“ Die SPD-Politikerin Gesine Schwan erntete Pfiffe für ihre Aussage, sie wolle die TTIP-Verhandlungen nicht abbrechen, sondern für ein besseres Abkommen kämpfen.

In anderen Reden wurde klar gegen die Abkommen plädiert. „Stoppen Sie TTIP und Ceta, sonst können Sie Ihre Kulturhoheit in der Pfeife rauchen“, rief Kulturrats-Präsident Prof. Christian Höppner an die Adresse der Bundesländer gerichtet. „Diese Abkommen haben nicht eine fairen Handel zum Ziel, sondern dienen ausschließlich kurzfristigen Gewinninteressen von Konzernen“, erklärte BUND-Chef Hubert Weiger. Auch für Attac-Vertreter Roland Süß war klar: „Der heutige Tag zeigt: TTIP ist in Deutschland nicht durchsetzbar“, sagte er. „Die Bundesregierung muss endlich die Reißleine ziehen und die Verhandlungen der EU-Kommission stoppen.“

Panikmache, Antiamerikanismus?

Vertreter der Bundesregierung, aber auch Wirtschaftsorganisationen wie der BDI und Medien wie Spiegel Online hatten im Vorfeld versucht, die Demonstranten als schlecht informiert dazustellen und ihnen Panikmache oder Antiamerikanismus vorgeworfen. Das sorgte in Berlin für große Empörung. „TTIP zu kritisieren heißt nicht, antiamerikanisch zu sein“, sagte Ben Beachy von der US-Umweltorganisation Sierra Club. An die Adresse von SPD-Chef Sigmar Gabriel, der am Samstag ganzseitige Zeitungsanzeigen geschaltet hatte (“Bangemachen gilt nicht!“) sagte Weiger: „Herr Gabriel muss niemanden von einem Irrweg abhalten. Die Menschen, die hier sind, sind des Lesens mächtig.“

Mit großer Wut in der Stimme sprach auch der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Ulrich Schneider. „Ich habe selten erlebt, dass ein so großes Bündnis so übel diffamiert wurde“, rief er. Der auf Spiegel Online geäußerte Vorwurf, [1][die Demonstranten arbeiteten mit Rechtsextremen zusammen], sei „unerträglich“, sagte Schneider: „Mit Braunen und Rechten und Rassisten haben wir nichts zu tun.“

Genützt hat die Kritik im Vorfeld aber ohnehin nichts, wie die gewaltige Beteiligung an der Demonstration zeigt. Dementsprechend positiv fiel am Ende auch die Bilanz des Trägerkreises aus: „Heute ist ein großer Tag für die Demokratie.“

10 Oct 2015

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[1] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ttip-bei-der-demo-marschieren-rechte-mit-kommentar-a-1057131.html

AUTOREN

Malte Kreutzfeldt

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