taz.de -- Falafelbäcker in Jerusalem: „Juden haben die Falafel geklaut“

Äußerlich und im Geschmack unterscheiden sich jüdische und arabische Falafeln nicht. Differenzen gibt es trotzdem in Jerusalem.
Bild: Falafel auf dem Teller und im Brot.

Auf dem Jerusalemer Machane-Jehuda-Markt treten sich an Freitagen die Leute gegenseitig auf die Füße. Zitronen, Mangos, Petersilie, Brot und Hühnchen und Fisch füllen die Plastiktüten. Glücklich ist, wer eine Einkaufstasche mit Rollen hat, in der er den schwer wiegenden Einkauf hinter sich herzieht.

Wie am Laufband geht es bei den Obst- und Gemüsehändlern zu, die geschickt die Ware abwiegen, mit derselben Bewegung die Tüten zuknoten und das Geld kassieren. Die meisten Kunden haben es eilig. Vor allem die frommen Juden zieht es nach Hause. Vor Einbruch der Dunkelheit, wenn der heilige Schabbat beginnt, wollen sie mit Hausputz, mit Kochen und Sich-selbst- fein-Machen fertig sein. Trotzdem muss Zeit sein für eine Falafel bei den Brüdern Levy.

„Falafel essen wir seit unserer Kindheit“, sagt ein älteres Ehepaar, das vor der Ladentheke der Levys ansteht, über die seltsame Frage, warum Falafel und nicht ein Hamburger oder ein Stück Pizza. Die beiden Eheleute kommen aus Tel Aviv. Bis dorthin reicht der Ruf der Brüder Levy, die ihren Laden gleich am Eingang zum Machane-Jehuda-Markt haben.

„Im Jahr der Staatsgründung 1948“, so berichtet Jossef, der älteste der Brüder, „eröffnete unser Großvater das Geschäft“. Von den vier Männern, die auf kaum acht Quadratmetern arbeiten, hat jeder seine Aufgabe. Einer backt die Falafelkugeln, ein anderer schneidet das Fladenbrot auf, und der Dritte füllt die Pita zuerst mit Humus, dann mit Falafelkugeln, kleingeschnittenen Gurken und Tomaten und zuletzt Techina, einer pikanten Soße aus gemahlenen Sesamsamen.

Die koschere Falafel

Wer möchte, darf sich ohne Aufpreis noch so viele eingelegte Gurken nehmen, wie in die Pita hineinpassen oder in die Lafa, die Alternative zur Pita, ein flacheres, dafür breites Fladenbrot, das nicht aufgeschnitten wird, sondern gerollt. Dass beim Reinbeißen die Soße über Mund und Kinn läuft, gehört dazu. Die Falafel mit leicht vorgebeugtem Oberkörper zu essen hilft, die Kleidung zu schonen.

Die Levys sind einst aus Syrien ins Land gekommen. Von dort, so vermutet Jossef, habe sein Großvater auch das Rezept mitgebracht, wobei er einräumt, dass die frittierten Kichererbsbällchen „ursprünglich wohl aus Ägypten kamen“. Ganz genau weiß er es nicht. Zu den Stammkunden der Levy-Brüder gehören die Markthändler und die Leute aus der Nachbarschaft. „In den Ferien kommen auch viele Touristen und Schüler zu uns“, sagt Jossef.

Ob Jude, Moslem oder Christ – die Falafel erfüllt alle Nahrungsmittelauflagen, denn sie ist „parve“, enthält weder Milch noch Fleisch und auch keine Eier, also können sie sogar Veganer guten Gewissens genießen. Veganismus ist eine wachsende Ernähungsart in Israel. Ganze vier Prozent der Einwohner sollen vegan leben – Tendenz steigend.

Doch von dem Trend sei nichts zu spüren, meint Jossef, der sich trotzdem übers Geschäft nicht beschweren will. „Solange es keinen Terror gibt, stimmen die Einnahmen.“ Obschon der Laden parve ist, kommt regelmäßig ein Prüfer vom Rabbinat und kontrolliert, ob die Reinheitsgebote eingehalten werden. Das Koschheitssiegel an der Ladentür ist für die ultraorthodoxen Kunden unabdingbar.

Die arabische Falafel

Im palästinensischen Osten der Stadt wird auf das Siegel weniger gegeben. Schon wenn ein Nichtjude den Ofen anzündet, ist es, wenn man die religiösen Regeln sehr streng nimmt, um die Koschheit geschehen. In Jerusalems Altstadt hält Abu Shukri den unbestrittenen Titel des besten Falafelbäckers. Er unterhält zwei Läden, einen kleinen im christlichen und den größeren im muslimischen Viertel. Der 40-jährige Fahdi Abu Shukri ist einer der Neffen des Mannes, der vor 65 Jahren sein erstes Geschäft eröffnete.

„Die Juden sagen, sie hätten das Rezept der Falafel zuerst gehabt“, schimpft er, „aber das stimmt nicht.“ Falafel – das sei die palästinensische Nationalspeise. „Die Juden haben uns die Falafel geklaut.“ Wie so vieles andere auch, mag er denken, aber er sagt es nicht.

Rein äußerlich unterscheiden sich die jüdischen von den arabischen Kichererbsbällchen genauso wenig wie im Geschmack. „Nicht zu dunkel dürfen sie sein“, sagt Abu Shukri und zuckt mit den Schultern, „einfach ein helles, angenehmes Braun“. Das Geheimnis sei nicht, was man in die Bällchen tut, sondern „in welchen Proportionen“. So recht mag er mit dem Rezept nicht rausrücken. „Filfel“ sei drin, sagt er. Das kann frische oder scharfe Paprika sein oder auch Pfeffer, was schon deshalb logisch ist, da sich das Wort Falafel aus dem Wort „Filfel“ ableitet.

Die Unterschiede

Der Kampf um die Urheberrechte geht so weit, dass die Falafel auf Postkarten einmal mit israelischem Fähnchen abgebildet ist und einmal mit palästinensischem.

Unterschiedlich ist nicht die Falafel an sich, sondern wie sie gegessen wird. Die Israelis essen ihre Falafel meistens im Stehen. Sie stopfen die Pita bis zum Rand voll mit viel Salat, mit Pommes frites, gebratenen Auberginenscheiben, manchmal mit scharfer Tomatensoße und einer Extraportion Techina. Die Palästinenser setzen sich demgegenüber zum Essen gern an einen Tisch, auf dem eine kleine Schale mit den Falafelbällchen steht und eine andere mit Humus oder Techina.

Fahdi Abu Shukri nimmt einen großen Löffel voller Humus und klatscht ihn in eine Schale. Er verteilt den Brei gleichmäßig und schöpft eine Handvoll noch ganzer, gekochter Kichererbsen aus einem Topf. Ein ordentlicher Schuss Olivenöl obenauf und gehackte Petersilie dazu.

Mit der Techina hält er es umgekehrt: Erst die ganzen Kichererbsen und obenauf Sesamsamensoße und Petersilie. Oft gibt es in den einfachen Lokalen, wie bei Abu Shukri, noch Oliven dazu und eine Zwiebel. Wer mehr Auswahl will, geht in schickere Restaurants, wo die Falafelbällchen nur den kleinen Teil der Mezza bilden, der traditionellen Vorspeise im Vorderen Orient.

27 Jul 2015

AUTOREN

Susanne Knaul

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