taz.de -- Kommentar Ausnahmezustand Tunesien: Kleines Land mit großer Aufgabe

In Tunesien wurde der Ausnahmezustand verhängt. Nun ist viel Fingerspitzengefühl wichtig – sonst drohen fatale Folgen.
Bild: Blumen für die Opfer des Anschlags am Strand von Sousse.

Ausnahmezustand! Ein schreckliches Wort, eine schreckliche Maßnahme in einem Land, das gerade eben seine Freiheiten erkämpft hat. Doch stellt sich die Frage: Hat Tunesien überhaupt eine andere Möglichkeit? Darauf gibt es keine leichte Antwort.

Der Feind oder – sollte man besser sagen – die Feinde sind übermächtig. Es sind diejenigen, die mit Gewalt versuchen, die demokratischen Errungenschaften zu zerstören. Sie sind zu allem bereit. Das zeigen die Anschläge auf das Strandhotel in Sousse vor neun Tagen und der Überfall auf das Museum Bardo in Tunis vor einem Vierteljahr. Hinzu kommen all diejenigen, die diese Gruppen direkt oder indirekt unterstützen.

Es sind die konservativen Kräfte in der arabischen Welt, die ein positives Beispiel, ein Land, das zeigt, dass Demokratie und Islam nicht unvereinbar sind, einfach nicht zulassen können. Und es sind auch diejenigen, die auf die großen Herausforderungen unserer Zeit nur mit militärischen Einsätzen – wie etwa in Libyen – zu reagieren wissen. Auch sie gefährden Tunesien.

Das kleine Land am Mittelmeer steht vor einer großen Aufgabe. Der Ausnahmezustand muss weise und bedacht eingesetzt werden. Die Versuchung seitens der Regierung, radikale Islamisten und gemäßigte Oppositionelle über einen Kamm zu scheren, Terroristen und streikende Arbeiter gleichermaßen zu warnen und zu unterdrücken, ist nicht von der Hand zu weisen.

Freiheiten müssen gewahrt bleiben

Genau das aber darf nicht geschehen. Denn damit würden die bewaffneten Islamisten ihr Ziel erreichen. Sie würden Tunesien endgültig in einen Krieg zwingen, wie ihn das benachbarte Algerien im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrtausends durchleiden musste.

Die große Stärke Tunesiens war bisher die wachsame und streitbare Zivilgesellschaft. Ihre Freiheiten müssen gewahrt bleiben und sie muss in den Kampf gegen die Gewalt eingebunden werden. Nur so ist das zu retten, was als leuchtendes Beispiel für eine ganze Region und für eine ganze Generation steht.

5 Jul 2015

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Reiner Wandler

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