taz.de -- Die Wahrheit: Mohnbrötchenintoleranz
Sind Hammerzehen besser als die Unverträglichkeit von Milchzucker? Das wäre mal eine Abwechslung im Reich der Unbekömmlichkeiten.
Lebensmittelunverträglichkeiten sind schon seit einiger Zeit die Eintrittskarte in die sensiblen, also besseren Kreise. Wer Gluten, Milcheiweiß, Haselnüsse oder Laktose runterschlingt wie nix, kann einfach kein feiner Mensch sein. Es ist modern, auf jede Regung des gebeutelten Leibes zu achten und Errungenschaften der modernen Welt wie Hotdogs oder Marzipanjoghurt nicht beschwerdefrei zu sich nehmen zu können. Noch moderner ist nur, sich über dieses Phänomen zu beschweren und zu behaupten, die allergischen Zeitgenossen hätten alle einen an der Dinkel-Waffel.
Wer mir meine niedliche kleine Laktose-Intoleranz streitig machen will, darf sich gern als Proband melden: Ich nehme einen großen Eisbecher mit viel Sahne, das würde ich nach jahrelanger Abstinenz sowieso gern mal wieder tun, und noch einen Latte macchiato dazu. Der Unverträglichkeitsleugner wird in den folgenden Stunden mit mir in einem Raum eingesperrt. Viel Vergnügen, nein, Sie dürfen mich nicht hauen. Ich bin krank, ich kann nichts dafür. Und lassen Sie mich jetzt mal ganz schnell durch zur Toilette.
Allerdings habe ich schon ein paar Mal überlegt, mir was anderes Interessantes zuzulegen, zum Beispiel Hammerzehen oder … – nein, lieber Verband der Hammerzehenbesitzer, schreibt mir nicht, ich ahne, dass ihr es auch nicht leicht habt und man über euch gar keine Witze machen darf. Alle Leute, die Verbände gründen, schließen schließlich damit eine Anti-Humor-Versicherung ab. Das muss man auch mal respektieren und einfach die Klappe halten, sonst hat man die Geschichte des Abendlands nicht verstanden und die Segnungen der Demokratie nicht verdient.
Also, ich hätte immer gern dann Hammerzehen, wenn man mich wegen der Laktose mit Sojaprodukten traktiert oder mir Ziegenmilch in den Kaffee kippt. Da kann ich schnell recht unverträglich werden. Hammerzehenträger müssen keine Ziegenmilch trinken, es sei denn, sie glauben, dass sie das spirituell weiterbringt.
Die Allergien der Bekannten zu verfolgen, ist nicht immer einfach. Man hinkt leicht mal hinterher und backt mühsam einen mehlfreien Kuchen, nur um dann zu hören: „Sind da etwa Eier drin? Geht ja gar nicht!“ Man bastelt einen Salat, nussfrei, ohne Meeresfrüchte, ohne Sellerie, wie gewünscht, und die Gäste fischen das Mayonnaiseglas aus dem Müll, um das Kleingedruckte zu studieren. Und natürlich etwas zu finden, was sie auf keinen Fall vertragen, sonst wären sie ja Menschen wie du und du.
Ich hatte schon Freundinnen, die nacheinander Milcheiweiß, Hühnereiweiß und Gluten auf dem Index hatten und erst beidrehten, als sie merkten, dass das Leben keinen Spaß mehr macht, wenn man sich auf die Genussfähigkeit einer Reiswaffel reduziert.
Meine neueste Unverträglichkeit entstand übrigens in der Dorfbäckerei. Die Verkäuferin ließ versehentlich ein Brötchen auf dem Boden fallen. Als sie glaubte, dass ich nicht mehr hinsehe, warf sie es zurück in den Korb. Seitdem kann ich nur noch Selbstgebackenes essen.
10 Jun 2015
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