taz.de -- Nach dem Amoklauf von Tucson: Der Irrsinn geht weiter

Die Tragödie ist erst ein paar Tage her. Doch auf der Waffenmesse in Tucson steigt der Umsatz bereits wieder - während das dritte Opfer des Massakers beigesetzt wird.
Bild: Zum Irrsinn geht's links entlang: Ein Schild weist den Weg zur Waffenmesse in Tucson.

TUCSON taz | "Haben Sie Schusswaffen dabei?", fragt ein junger Mann am Eingang. Wer Nein sagt, darf weitergehen. Alle anderen müssen ihre Pistolen, Revolver und Gewehre auf einem Tisch ablegen. Dahinter sitzt jemand von der "Gun Show".

An diesem Samstag kontrolliert er tausende von Beretta, Walther und AR-15 auf Munition. Wenn er fertig ist, zieht er ein Plastikbändchen durch die Magazine, als Zeichen, dass sie nicht geladen sind. Anschließend hängen die Besucher ihre kleinen Waffen wieder in das Halfter, ihre großen über die Schulter und schlendern hinein in die Halle, in der 200 Händler und zahlreiche Privatleute auf Kundschaft für neue und gebrauchte Waffen warten. Einen Metalldetektor gibt es nicht.

"Gute Reise ins Paradies"

"Hier gibt es keine Leute mit bösen Absichten", versichert ein Mann am Lotteriestand. Dort werden für einen Einsatz von 10 bis 40 Dollar kleine und große Schusswaffen verlost. Woher er seine Gewissheit nimmt? "Schwierige Frage", sagt er, "vor allem ist es wohl Erfahrung." Im Inneren halten viele die Eingangskontrollen für Augenwischerei. Ein Vertreter bietet ein neues Halfter an, damit man Waffen verdeckt tragen kann. Die Pistole hängt dabei im Inneren der Hose, auf der Außenseite befindet sich ein Handyetui als Tarnung. Er sagt. "Ich möchte nicht wissen, wie viele schussbereite Waffen hier heute unterwegs sind."

Unsicher fühle er sich trotzdem nicht. Warum? "Falls etwas passiert, gibt es hier genug ausgezeichnete Schützen, um das zu regeln." Neben den Halftern liegt ein Papier mit einer Warnung an "illegale Migranten", in der es heißt: "Ihr seid in Arizona nicht willkommen. Fahrt weiter nach Los Angeles. Dort bekommt ihr freie Schulen, freie Wohnungen und freie Medizin. Gute Reise ins Paradies."

Gun Shows gibt es jeden Monat zweimal in Tucson, Arizona. Doch diese, die auf den Tag genau eine Woche nach dem Massaker vor dem Supermarkt "Safeways" stattfindet, bei dem ein 22-jähriger Schütze innerhalb von Sekunden 31 Schüsse in eine öffentliche Versammlung der demokratischen Kongressabgeordneten Gabrielle Giffords feuerte, ist besonders gut besucht. Schon am ersten der beiden Tage geht der Veranstalter davon aus, dass er 7.000 Tickets verkaufen wird statt der 5.000, die normalerweise weggehen.

Die Händler stellen fest, dass ihr Umsatz steigt. Besonders gut verkaufen sich große Magazine und die Glocks. Beides hat auch der Mordschütze benutzt. "Nach größeren Schießereien steigt der Verkauf oft an", erklärt ein Händler, "die Angst treibt die Leute um. Nach einiger Zeit ebbt das wieder ab." Verkaufsfördernd für große Magazine wirkt zusätzlich die Sorge, dass sie infolge der Schießerei von Tucson verboten werden könnten. Der Händler hat eine Springfield mit hölzernem Griff aus dem Jahr 1888 in der Auslage sowie Winchesters und andere Waffen aus der Zeit nach dem Bürgerkrieg. Er hat auch zwei aus jener Epoche stammende Porträts von Indianern mit Federschmuck aufgehängt.

In den Tagen nach der Schießerei von Tucson hat Veranstalter Bob Templeton kurz erwogen, die Show abzusagen. Am Ende hat er doch daran festgehalten, um den Gegnern der liberalen Waffengesetzgebung in Arizona keine Argumente zu liefern. Er sagte: "Hier ging es nicht um den legalen Waffenbesitz, sondern um eine gestörte Person, die entschlossen war, Chaos anzurichten."

In Tucson wird an diesem Samstag das dritte der sechs Todesopfer beigesetzt. Die mit einem Kopfdurchschuss verletzte Abgeordnete Giffords kann wieder Finger und Zehen bewegen. Für die Ärzte, die sie auf der Intensivstation der Universitätsklinik von Tucson behandeln, ist das ein Wunder. Eine langfristige Prognose können sie noch nicht abgeben.

Über der Messehalle steht die US-Flagge auf halbmast wie auf allen öffentlichen Gebäuden der Stadt. Direkt davor macht die größte Bürgerinitiative der USA Mitgliederwerbung. Die National Rifle Association (NRA), die sich für das Recht auf Waffentragen einsetzt und die wohlgesinnte Abgeordnete in Washington - darunter sowohl Republikaner als auch Demokraten - großzügig finanziell unterstützt, erklärt auf einem Poster, dass in den USA ein "Kulturkrieg" tobe: "Antiwaffenmedien, Politiker, Erzieher und Gedankenpolizei attackieren unsere Werte und unsere Freiheit." Es folgt die Aufforderung der NRA: "Fight back" - schlagt zurück. Zur Halbzeit des Messetags organisiert der Veranstalter eine Schweigeminute für die Opfer der Schießerei.

Journalisten kommen gewöhnlich nicht zu der Gun Show in Tucson, schon gar nicht solche von nationalen und internationalen Medien. An diesem Samstag stehen zahlreiche Kamerateams vor dem Eingang. Sie sind allenfalls geduldet, nicht erwünscht. Im Inneren der Messehalle ist fotografieren verboten. "Hauptgrund ist, dass zahlreiche Undercover-Ermittler bei solchen Messen arbeiten […] insbesondere wenn sie in der Nähe der Grenze mit Mexiko stattfinden", erklärt ein Faltblatt, das den Journalisten am Eingang ausgehändigt wird.

"Dürfen Sie hier arbeiten?"

In der Halle fragt ein Vertreter der American Spirits Arms, die in Arizona halbautomatische Gewehre produziert: "Dürfen Sie hier überhaupt als Reporterin arbeiten?" Und der Repräsentant der ebenfalls in Arizona ansässigen Munitionsfabrik North Rim Amm möchte zu der Frage nach etwaigen Konsequenzen aus der Schießerei von Tucson nichts sagen. Begründung: "Ich traue den Medien nicht."

In der Halle sind weißhäutige Männer aller Altersklassen die Mehrheit. Viele tragen militärisch kurze Haarschnitte. Über Waffen und Munition sprechen sie in kurzen Chiffren, so wie andere über Autos und Handymodelle reden. Außenstehenden sagen sie: "Waffen töten nicht. Es sind die Menschen." Über die Schießerei von Tucson sagen viele, es wäre besser gewesen, wenn "Waffenträger" in der Nähe gewesen oder die Mitarbeiter der Kongressabgeordneten ihre Waffe dabeigehabt hätten: Dann hätte es weniger Tote gegeben. Auf die Polizei mögen sich die Waffenträger nicht verlassen. "Wenn Sekunden zählen, ist die Polizei nur Minuten entfernt", sagen sie.

Charles Heller, Gründer der Bürgerwehr Arizona Citizens Defense League hofft, dass die Gesetzgeber künftig selbst Waffen tragen: "Auch im Kongress. Um sich selber zu schützen". Er unterstützt auch andere Initiativen. Darunter den Vorschlag für ein Gesetz, das das Waffentragen auch an den Universitäten zulässt - einem der wenigen schusswaffenfreien Orte von Arizona. Heller trägt an diesem Samstag drei Schusswaffen. Und erzählt, dass er "immer" eine dabeihabe. Auch wenn er im Bademantel durch sein Haus gehe. Wie viele Schusswaffen er besitzt, will er nicht verraten. Er findet, die Frage danach verletze seine Privatsphäre. Heller hat zwei wöchentliche Radiosendungen in Tucson. Samstags organisiert er Waffentausch und -verkauf. Sonntags moderiert er zwei Stunden lang die Sendung "Liberty Watch", Untertitel "Freiheit und Waffen".

"Mein Sohn hat ihn erlegt"

Wer die Messebesucher fragt, wofür sie Waffen brauchen, bekommt zwei Antworten: Sportschießen und Jagd. Am Lotteriestand zieht Mark Decker Fotos von seinem Sohn aus der Hosentasche. Darauf hockt ein 13-jähriger Junge neben einem Elch. "Mein Sohn hat dieses 400 Pound schwere Tier im Norden von Arizona erlegt", sagt der stolze Vater. Inzwischen lerne auch seine Tochter schießen. Sie ist zwölf Jahre alt.

Von der mexikanischen Grenze, die in der Nähe liegt, und der Angst vor Überfällen, die bei anderen Gelegenheiten das Hauptargument von manchen Ranchern aus dem Süden von Arizona ist, spricht an diesem Tag niemand. Viele Männer sagen aber trotzig, dass sie ihre mit Plastikbändchen markierten Schusswaffen "aus Prinzip" tragen. "Ich verteidige mein in der Verfassung garantiertes Recht", sagt Alexis Doster. Er trägt an diesem Tag unter anderem ein australisches Gewehr aus dem Jahr 1932 mit sich herum. Für den Rentner geht es dabei nicht nur um Symbolik. Für ihn ist die Regierung der USA zu mächtig, und er betrachtet das Waffentragen als notwendiges Gegengewicht: "Niemand kann frei sein, wenn allein der Staat das Recht hat, sich zu bewaffnen."

17 Jan 2011

AUTOREN

Dorothea Hahn

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