taz.de -- Krieg in Libyen: Angriff auf die Nachschublinien

Die westliche Allianz greift Flugabwehrstellungen und andere militärische Einrichtungen an. Währenddessen toben weiterhin heftige Kämpfe zwischen Rebellen und Regierungstruppen.
Bild: Ein Soldat der Rebellen präpariert in der Nähe von Bengasi Munition für ein Maschinengewehr.

WASHINGTON/TRIPOLIS/BENGASI/KAIRO dapd/rtr/afp/dpa | Viereinhalb Wochen nach Beginn des Aufstands in Libyen haben Frankreich, Großbritannien und die USA am Wochenende erstmals die Streitkräfte von Machthaber Muammar al-Gaddafi angegriffen. Ziele der Aktion unter dem Codenamen "Odyssee Dawn" waren offiziellen Angaben zufolge Flugabwehrstellungen und andere militärische Einrichtungen an der Mittelmeerküste.

US-Vizeadmiral William Gortney sagte vor Journalisten im Pentagon, dies sei die erste Phase zur Durchsetzung der vom UN-Sicherheitsrat autorisierten Flugverbotszone in Libyen, mit der Gaddafi an Angriffen auf die eigene Bevölkerung gehindert werden solle. Die Militäraktion habe zwei Ziele: Angriffe der Gaddafi-Truppen auf Rebellen zu unterbinden und die Fähigkeit der libyschen Streitkräfte zu mindern, sich gegen die Flugverbotszone zu wehren.

Während die USA zunächst mitteilten, die Wirkung der ersten Angriffe könne nicht exakt festgestellt werden, meldete das libysche Staatsfernsehen 48 Tote und 150 Verletzte. Es berief sich auf das libysche Oberkommando; die Angaben konnten nicht unabhängig bestätigt werden.

Gaddafi kündigte am Sonntagvormittag einen Abwehrkampf des Volkes gegen die Militärintervention an. "Alle Libyer sind nun bewaffnet", erklärte er in einer Audiobotschaft, die vom staatlichen libyschen Fernsehen gesendet wurde. "Wir werden gegen euch kämpfen, wenn ihr eure Angriffe fortsetzt", sagte er an die westliche Allianz gewandt. Es war Gaddafis zweite Botschaft seit Beginn des militärischen Eingreifens der Allianz. In der ersten Erklärung hatte er eine Öffnung der Waffenlager "für alle Libyer" angekündigt. Außerdem kündigte er "einen langen Krieg" an.

Nach Angaben des US-Generalstabschefs Michael Mullen dient der Militäreinsatz nicht dem Sturz Gaddafis. Ziel sei es, die libysche Zivilbevölkerung zu schützen, sagte er am Sonntag in einem Interview. Um die Kampfkraft der Gaddafi-Truppen zu schwächen, plane die internationale Koalition, deren Nachschublinien anzugreifen.

Bei den heftigen Kämpfen zwischen Aufständischen und Regierungstruppen kamen am Freitag und Samstag in Bengasi mehr als 90 Menschen ums Leben. Am Freitagabend hatten Truppen Gaddafis trotz der angekündigten Einstellung der Kämpfe den Westrand der Stadt mit schweren Waffen angegriffen. Tausende Bewohner flohen vor den Kämpfen. Am Sonntag war es in der Stadt zunächst ruhig; teilweise kehrten Flüchtlinge wieder zurück.

Ausgebrannte Panzer und verkohlte Leichen säumten die Straße von Bengasi nach Adschdabijah. Aufständische fuhren in ihren Pick-ups zurück Richtung Westen. "Das alles war Frankreich", sagte Tahir Sassi zu den Fahrzeugwracks, den gefechtsunfähigen Panzern und den umgerissenen Straßenlaternen. "Wir kamen heute an und haben gesehen, dass die Straße frei ist." Die Bombardierung war so stark, dass einzelne Leichen nur schwer voneinander zu unterscheiden waren.

Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, übte Kritik an dem Militäreinsatz. Mussa, der die Mitgliedstaaten der Liga dazu gedrängt hatte, eine UN-Resolution für eine Flugverbotszone zu unterstützen, sagte am Sonntag in Kairo: "Für den Schutz der Zivilisten braucht man keine Militäroperationen. Wir haben von Anfang an lediglich die Einrichtung einer Flugverbotszone gefordert, um die Zivilisten zu schützen und um weitere Entwicklungen zu vermeiden."

Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) teilte in einer Erklärung mit, es sei über die Sicherheit der Zivilbevölkerung "tief besorgt". Es rief alle Kriegsparteien auf, sich an das internationale humanitäre Recht zu halten, indem man zwischen Zivilbevölkerung und Kampfeinheiten unterscheide und humanitären Organisationen sicheren Zugang gewähre.

Das Kommando über den Militäreinsatz in Libyen soll nach dem Willen Großbritanniens möglichst schnell von den USA auf die Nato übergehen. "Ich hoffe, dass wir unter Nato-Kontrolle und unter Nato-Kommando kommen, auch wenn es keine Nato-Mission ist", sagte der britische Verteidigungsminister Liam Fox am Sonntag in der BBC. Wichtige Nato-Mitglieder wie Deutschland und die Türkei beteiligen sich nicht an der Militäroperation.

20 Mar 2011

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