taz.de -- Repressionen in Weißrussland: Präsidentschaftskandidat vor Gericht
Dem Oppositionspolitiker Andrej Sannikow drohen 15 Jahre Haft. Er hatte an Protesten gegen die Fälschung der Präsidentenwahlen teilgenommen.
BERLIN taz | Der Feldzug des autoritären weißrussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko gegen seine Kritiker geht weiter. Am Mittwoch begann vor einem Minsker Gericht der Prozess gegen den oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Andrej Sannikow. Die Anklage lautet auf Aufwiegelung zu Massenunruhen. Im Falle einer Verurteilung drohen Sannikow bis zu 15 Jahren Haft.
Der 57-Jährige war am Abend des 19. Dezember 2010, dem Tag der Präsidentenwahlen, festgenommen worden. Diese hatte Amtsinhaber Lukaschenko offiziell mit knapp 80 Prozent der Stimmen gewonnen. Massenproteste gegen das gefälschte Ergebnis waren von der Polizei niedergeschlagen und über 600 Personen - darunter sechs Präsidentschaftskandidaten - festgenommen worden. Mehrere der über 30 Kundgebungsteilnehmer, die angeklagt wurden, wurden zu Haftstrafen verurteilt - zuletzt am Dienstag der Leiter von Sannikows Wahlstab, Dmitri Bondarenko. Er muss wegen "der Organisation von Gruppenaktionen, die die öffentliche Ordnung verletzt haben", zwei Jahre in einem Straflager absitzen.
Doch nicht nur Lukaschenkos direkte Konkurrenten sollen mundtot gemacht werden. Auch Anwälte, die politische Gefangenen vertreten, und kritische Journalisten werden systematisch unter Druck gesetzt.
Vor zweieinhalb Wochen legte das Regime im Kampf gegen seine Widersacher noch einmal einen Gang zu. Am 11. April waren in einer Minsker U-Bahn-Station zwei Sprengsätze detoniert. Dabei waren 13 Menschen getötet und über 200 verletzt worden.
Obwohl die Behörden die Verantwortlichen für den Anschlag dingfest gemacht haben wollen, kündigte Lukaschenko unlängst in einer Rede an die Nation an, "jede fünfte, sechste oder auch 25. Kolonne zu zerstören".
Olga Karatsch von der Witebsker Nichtregierungsorganisation Nasch Dom (Unser Haus) glaubt, dass sich die Repressionen verschärfen werden. Sie war in der vergangenen Woche für 24 Stunden festgenommen und wegen Vandalismus zu einer Geldstrafe von umgerechnet 200 Euro verurteilt worden. Bei der Miliz sei sie geschlagen und unter Aussprüchen wie "wir ficken dich in den Arsch" mit Vergewaltigung bedroht worden. "Doch einschüchtern", sagt sie, "lassen wir uns nicht."
27 Apr 2011
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
Das autoritäre Regime in Weißrussland verweist kritische JournalistInnen des Landes oder verweigert ihnen das Visum. Der Grund dafür: ihre Arbeitsweisen.
Andrej Sannikow ist Mitbegründer der Bürgerbewegung Europäisches Weißrussland und politischer Gegner des autoritären Alexander Lukaschenko. Und nun kaltgestellt.
Angesichts schwerster Menschenrechtsverletzungen stellt sich jetzt eine Frage dringlicher denn je: Wer kann dem paranoiden Diktator überhaupt noch Einhalt gebieten?
Andrej Sannikow soll bei der Präsidentschaftswahl in Weißrussland "massive Unruhen" geschürt haben, sagt ein Gericht. Fünf Jahre Straflager sind die Folge. International wird das Urteil kritisiert.
Der autoritäre Staatschef Lukaschenko meint zu wissen, dass die Verantwortlichen für den Terroranschlag im Ausland sitzen. Dem Land droht der Kollaps.
Die Bombe explodierte im Berufsverkehr in einer U-Bahn-Haltestelle und riss 12 Menschen mit in den Tod. Staatspräsident Lukaschenko sieht ausländische Kräfte am Werk.
Drei Teilnehmer an den Dezember-Protesten gegen Staatschef Lukaschenko müssen wegen "Aufstachelung zum Massenaufruhr" für Jahre hinter Gitter.
Nur wenige Westeuropäer besuchen Weißrussland. Dabei würde ein intensiver Dialog zwischen den Menschen das autoritäre Regime Lukaschenkos weiter unter Druck setzen.
Am 19. Dezember wird in Weißrussland gewählt. Der Oppositionelle Andrei Sannikow will den Präsidenten Lukaschenko ablösen, auch wenn er weiß, dass seine Chancen gering sind.