taz.de -- Brandsätze an Bahngleisen in Berlin: Alle Signale auf Rot

Inzwischen wurden 16 Brandsätze an den Berliner Bahngleisen gefunden. Doch über die Täter wird bisher nur spekuliert. Jetzt soll eine hohe Belohnung für Hinweise sorgen.
Bild: "Was ist denn hier los?" – "Der Herr stellt einen Brandsatz sicher."

BERLIN taz | Nach dem Fund von mindestens 16 Brandsätzen an Bahngleisen in Berlin und Brandenburg hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. "Wir ermitteln gegen unbekannte Täter wegen des Verdachts der verfassungsfeindlichen Sabotage gemäß Paragraf 88 Strafgesetzbuch und anderer Straftaten", sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft. Das Bundeskriminalamt ist mit den Ermittlungen beauftragt. Als Täter werden Linksextremisten vermutet.

Wichtige Fern- und Regionalbahnstrecken wurden am Mittwoch gesperrt, der Berliner S-Bahn-Verkehr war zwischenzeitlich massiv gestört. Politiker der Union sprachen von einer neuen Dimension linksextremer Gewalt. Das Bundesinnenministerium hingegen ist nicht der Ansicht, dass es einen neuen Linksterrorismus in Deutschland gibt.

Bei den Brandsätzen handelte es sich nach Polizeiangaben um Plastikflaschen oder andere Behälter, die mit einer brennbaren Flüssigkeit gefüllt waren. Sie wurden in offen zugänglichen Kabelschächten entlang der Gleise abgelegt. Die meisten zündeten nicht – wegen des Regenwetters oder technischer Defekte.

Am Montag ging ein erster Brandsatz in Brandenburg an der ICE-Strecke Berlin-Hamburg in Flammen auf. Ein Kabelschacht brannte, Signalkabel wurden zerstört. Die Strecke ist seitdem gesperrt und wird frühestens am Donnerstagabend wieder freigegeben. Später wurden 100 Meter vom Hauptbahnhof entfernt neben einem Trafohäuschen Brandsätze sichergestellt.

Menschen kamen nicht zu Schaden

Auch am Dienstag und Mittwoch wurden in verschiedenen Teilen der Stadt neue Brandsätze entdeckt. Einer, der am Mittwochmorgen von Bahnmitarbeitern gefunden wurde, war bereits abgebrannt – unbemerkt. Menschen kamen nirgendwo zu Schaden. Experten gehen davon aus, dass es wohl nicht zu Zugunfällen gekommen wäre, auch wenn alle Brandsätze gezündet hätten. Die Signale des Streckenabschnitts würden automatisch auf Rot geschaltet.

Die Deutsche Bahn setzte 100.000 Euro Belohnung für Hinweise aus, die zur Ergreifung der Täter führen. Die Bundespolizei hat nun mehr Beamte im Einsatz. Allerdings sei eine lückenlose Überwachung von 6.400 Kilometer Bahnstrecke in Berlin und Brandenburg unrealistisch, sagte ein Sprecher. Man konzentriere sich deshalb auf Verkehrsknotenpunkte.

Die Polizei geht davon aus, dass alle Brandsätze auf einmal ausgelegt wurden. In einem Schreiben, das am Montag auf einem linken Onlinenachrichtenportal veröffentlicht wurde, hatte sich eine Gruppierung namens "Hekla-Empfangskomitee" zu der Tat bekannt. Als Begründung werden unter anderem deutsche Rüstungsgeschäfte und "10 Jahre Bundeswehr-Krieg in Afghanistan", aber auch Kinderarmut und die Kürzung von Hartz-IV-Sätzen angeführt.

Zehntausende Reisende waren in Berlin von Verspätungen und Zugausfällen betroffen. Insgesamt verspäteten sich 2.000 Züge wegen der Streckensperrungen. Zeitweise wurden zwei von drei ICE-Strecken von und nach Berlin gesperrt. Auch Züge von und nach Hannover wurden umgeleitet, es kam zu Verspätungen von bis zu 80 Minuten. Die Ring-S-Bahn fuhr anderthalb Stunden nicht. Am Hauptbahnhof und am Bahnhof Südkreuz, wo am Mittwoch Brandsätze gefunden wurden, reagierten Bahnreisende aber weitgehend unaufgeregt.

12 Oct 2011

AUTOREN

Sebastian Erb
Sebastian Erb

TAGS

Bayern

ARTIKEL ZUM THEMA

Ermittlungen zu Stahlseil-Anschlag auf ICE: Keine heiße Spur

Wer sind die Täter? Über 50 Beamte suchen noch immer nach der Person, die einen ICE in Bayern entgleisen lassen wollte.

Brandsätze entfachen Sicherheitsdebatte: Ohne Patentrezept

Nach erneuten Brandsatzfunden entbrennt Debatte über Konsequenzen. Sicherheitsbeauftragter der Bahn hält Sicherung von Kabelschächten für schwierig.

Brandsätze in Berlin: Alte Feindbilder von links

Die Parteien streiten über einen angeblichen neuen Linksterrorismus. Mutmaßliche Täter weisen den Terrorvorwurf zurück.

SPD-Innenexperte Wiefelspütz: Brandanschläge kein Linksterrorismus

Ein Vergleich mit der RAF verbiete sich. Nach dem Fund von Brandsätzen auf Bahngleisen bemüht sich der SPD-Innenexperte Wiefelspütz um sachliche Argumente.

Anschläge auf die Bahn: Zündler haben leichtes Spiel

Weitere Brandsätze im Streckennetz gefunden. Einer hatte bereits gezündet - folgenlos. Um Brandsätze zu legen braucht es kein Spezialwissen. Bahn setzt 100.000 Euro Belohnung aus.

Kommentar Revoluzzer: Aufstand? Schön und gut!

Gerne schwärmt das Volk von Revoluzzern. Aber wenn es welche gibt, dann sind sie immer dämlich. Wie soll der gute Aufstand sein und warum gefällt uns die Revolte nur woanders?

Kommentar Linke Brandanschläge: Die Sehnsucht der Konservativen

Die Bahnanlagen-Brandsatzleger sind weder Linksterroristen noch orientierungslose Spinner. Ihre Kapitalismuskritik hat durchaus Berechtigung – ihre Mittel hingegen nicht.

Anschläge auf Berliner Bahnen: CDU-Politiker wittert "Linksterrorismus"

Die vereitelten Brandanschläge in Berlin seien "Linksterrorismus" meint der niedersächsische Innenminister Schünemann (CDU). Grüne warnen davor die Anschläge politisch zu überhöhen.