taz.de -- Ultraorthodoxe Juden in Israel: Hinten sitzen? Nein danke!

Geschlechtertrennung im Bus und auf Gehsteigen, züchtige Werbeplakate, Singen verboten: So wollen ultraorthodoxe Männer in Israel unkeusche Gedanken verhindern.
Bild: Man muss sie vor sich selbst schützen: Ultraorthodoxe Juden in der Nähe von Tel Aviv.

JERUSALEM taz | Tanja Rosenblit weigert sich, nach der Pfeife der Ultraorthodoxen zu tanzen. Unterwegs von Aschdod nach Jerusalem, setzte sich die Endzwanzigerin letztes Wochenende auf eine der vorderen Bänke im Bus und blieb dort, auch als fromme männliche Mitreisende sie dringend aufforderten, in den hinteren Teil des Fahrzeugs umzuziehen.

Über eine halbe Stunde behinderten die erbosten Ultraorthodoxen die Abfahrt des Busses, nachdem auch das Eingreifen des Fahrers Rosenblit nicht zum Umdenken gebracht hatte und die Polizei gerufen werden musste, damit er endlich losfahren konnte.

Rosenblit blieb auf ihrem Platz. Sie hatte das Recht auf ihrer Seite. Schon letztes Jahr entschied der Oberste Gerichtshof in Jerusalem gegen die Trennung von Mann und Frau im öffentlichen Verkehr. Doch Rechtsprechung ist eine Sache, die Realität eine andere. Jedem solle es selbst überlassen bleiben, ob er oder sie Geschlechtertrennung praktizieren will, schränkten die Richter ihr Urteil ein.

In der Praxis sind die Frauen oft so heftigem Druck ausgesetzt, dass sie lieber gleich freiwillig die hinteren Bänke im Bus ansteuern, statt auf Konfrontation zu gehen. Nicht jede ist so selbstbewusst und mutig wie Tanja Rosenblit.

Vertreibung der Frauen ist nicht neu

Am Sonntag sprachen sich politische und geistliche Führer des Landes gegen die Geschlechtertrennung in Bussen aus. "Randgruppen dürfen nicht unsere gemeinsamen Werte angreifen", sagte Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu laut dapd bei der wöchentlichen Kabinettssitzung. "Der öffentliche Raum ist für alle Bürger da."

Die Ultraorthodoxen wollen Frauen auf die hinteren Bänke verbannen, um die frommen Vertreter des starken Geschlechts nicht auf unkeusche Gedanken zu bringen. Die religiöse Vertreibung der Frauen ist nicht neu, in der Knesset gibt es mehrere frauenlose Parteien, dennoch nimmt die Geschlechtertrennung zunehmend groteske Formen an.

In dem ultraorthodoxen Stadtviertel Mea Shearim wollen die Männer nicht länger die Bürgersteige mit den anscheinend stets auf Verführung sinnenden Frauen teilen. Sogar die Armee gab dem erstarkenden frommen Judentum nach, als sie einen Katalog von Maßnahmen für mehr sexuelle Gleichberechtigung jüngst auf Eis legte.

Nur zwei von fünf Ministern erschienen kürzlich zu einer eigens einberufenen Sonderdebatte zu dem Thema. Nahezu ungehindert treiben die Rabbiner das Patriarchat voran. Sie verbieten gemeinsame Feierlichkeiten und gar den Auftritt von Sängerinnen vor religiösen Soldaten, auch Mann und Frau in Uniform sollen nicht zusammenkommen. "Aus der Armee des Volkes wird eine Armee der Rabbiner", schrieb die liberale Tageszeitung Haaretz und wetterte gegen "die Kapitulation" vor den extrem religiösen Rabbinern.

Sie sangen einfach

"Jetzt erst recht", sagten sich einige hundert Feministinnen und zogen auf Jerusalems neue "Brücke der Saiten", um genau das zu tun, was die Haredim (ultraorthodoxen Juden) bei Frauen am meisten fürchten: Sie sangen. Auch der liberale Rabbi Uri Ayalon, selbst Vater zweier Töchter, weigert sich, "in einem Staat zu leben, in dem Frauen nicht singen dürfen". Dass überhaupt eine legitime Debatte über das Für und Wider öffentlicher Auftritte von Frauen geführt werde, zeige, "in welch bedrohlicher Situation wir uns heute schon befinden".

Das größte Problem sieht Ayalon indes nicht im Streit über den weiblichen Gesang, sondern "in der Zensur von Werbung". Nicht nur dass weibliche Fotomodelle auf den Werbeplakaten in Jerusalem häufig züchtiger gekleidet sein müssen als an Tel Aviver Reklamewänden. Es gibt schlicht immer weniger davon. "Die Nichtexistenz der Frau wirkt auf das Unterbewusstsein", warnt Ayalon. Für eine Gleichberechtigung der Geschlechter müsse die Frau zuallererst einmal präsent sein.

Ayalons Gruppe "Jeruschalmim" (Jerusalemer) ließ zunächst 70 Plakate drucken, auf denen einmal eine Mutter mit zwei Töchtern zu sehen ist, ein anderes zeigte zwei junge Frauen im Gespräch. Zunächst hängten Mitglieder der Jeruschalmim die Plakate an Fenstern und Balkonen auf.

Später mieteten sie öffentliche Werbeflächen für weitere 140 Plakate, was kaum zu Negativreaktionen führte. Die Aktion sei "überraschend friedlich" gewesen. Ganze fünf Plakate fielen dem Zorn pikierter Ultraorthodoxer zum Opfer.

19 Dec 2011

AUTOREN

Susanne Knaul
Susanne Knaul

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