taz.de -- Die Affäre Wulff: Mea culpa – so what?

Nicht Entschuldigungen machen Affären vergessen, sondern Erklärungen. Warum es so wohlfeil ist "Verzeihung" zu sagen und warum wir mehr wollen als billige Gesten.
Bild: Auf eine Entschuldigung warten wir vergeblich.

Vielleicht lässt sich in einigen Jahren, wenn dieser Fall sich im Fluss seiner Historisierung befindet, sagen: Dieser Mann war der Meisterschüler Helmut Kohls. Sein Sprössling, der wie der Kanzler der Jahre 1982 bis 1998 eine Übung beherrscht, welche dem Pfälzer stets attestiert wurde – die des Aussitzens. Ja, Christian Wulff kann das auch. Bislang fast perfekt sogar.

Denn was man von ihm hauptsächlich verlangte, um zur Aufklärung seiner obskuren Nahbeziehungen in die vermögenden Kreise beizutragen, war ja vor allem dies: sich zu entschuldigen.

Und das hat Christian Wulff, der beinahe ewige Oppositionsführer im niedersächsischen Landtag, ehe er durch die politischen Debatten um Hartz IV doch noch ins Amt des Ministerpräsidenten gespült wurde, ja auch getan. Er sitzt noch immer im Schloss Bellevue, und niemand kann ihn zwingen, zurückzutreten.

Das ist der Nachrichtenstand bis zum Redaktionsschluss: Wulff wird seinen Job nicht aufgeben. Er zeigte sich bußfertig, ja, er gelobte, es nie wieder zu tun, er schwor fast, sich zu bessern. Aber mehr war doch auch nicht zu erwarten. Die einen Journalisten forschten den verdeckten Zirkeln hinter und Wulff nach; die anderen, auch Andrea Nahles neulich bei "Plasberg", wollten nur eine Entschuldigung von Wulff. Aber ein "mea culpa", ein "Asche auf das Haupt", ist leicht zu haben.

Ungehörig! Unanständig!

Eine Entschuldigung ist in sich, vom kommunikativen Gehalt her, immer so vage, wie es irgend geht. Eine Bitte um Verzeihung ist an nichts geknüpft, jedenfalls nicht zwingend, also mit rechtlicher Wirkung. Wer Entschuldigung sagt, muss nichts fürchten, schon gar nicht den Verlust eines Amtes. Die Geste ist wohlfeil und günstig auszuteilen, denn sie reagiert nur auf offenkundigen Unmut.

Wenn aber diese Vorwürfe nur moralisch aufgeladen werden – tut man nicht!, ist ungehörig!, unanständig! –, werden auch die Symbole des um Verzeihung Bittenden im Ungefähren, im Moralischen bleiben. Moral aber kostet im harten Geschäfts des wirklichen Lebens nichts. Und das wird Christian Wulff auch wissen, denn in der eisigen Luft höchster politischer Höhen geht es nicht zu wie in einem Teekränzchen, sondern da werden Karrieren und nötigenfalls Abfindungsmodelle verhandelt.

Wulff jedoch kann jetzt schon wissen, dass er kein Präsident der zwei Amtszeiten sein wird, aber diese wird er noch durchziehen wollen – sonst wäre er für den Rest seines Lebens ein gebrandmarkter Expolitiker, den Skandale um die halbseidenen Allüren und Praktiken eines aufstiegswilligen Politikers um das Amt brachten.

Insofern: Eine Entschuldigung ist von Wulff immer zu haben – und wird es weiter bleiben. In den USA hingegen, um jetzt zu den harten Umgangsformen zu kommen, würde man keinem Politiker erlauben, sich in den Kategorien von Sünde und Entschuldigung aus Affären zu reden. Dort verstehen sich Medien zuvörderst als investigative Institutionen, die noch den allerletzten Fussel auf dem Jackett des Objekts ihrer Beobachtung identifizieren möchten, ehe sie ein moralisches Urteil fällen.

Man hält sich an Tatsachen, nicht an Befindlichkeiten auf – und bei Wulff liegen diese Fakten noch längst nicht alle vor. Wer finanzierte was zu seinen Gunsten im Laufe seines Aufstiegs? Woher und zu welchem Zweck wurde Finanzielles ins Spiel geschoben - auf wessen Payrolls also stand und steht Wulff, und in wessen Gunst steht und stand er? Und: Warum?

Der Bundespräsident muss sich für nichts entschuldigen, er braucht nur jene 400 Fragen zu beantworten, die er zu beantworten in öffentlicher Arena versprach.

Nicht mehr, nicht weniger.

12 Jan 2012

AUTOREN

Jan Feddersen

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