taz.de -- Sanktionen gegen Syrien: Der "Ericsson-Faktor"
Nicht nur Russland und China, auch Schweden stellt sich quer. Europäische Telekommunikationsfirmen treiben Handel mit Syrien. Schwedens Regierung verhinderte ein Verbot.
Sanktionen gegen Syrien? Im Prinzip ja! Aber wenn die eigenen wirtschaftlichen Interessen schaden, dann legen nicht nur Russland oder China ihr Veto ein, sondern auch unverdächtige Staaten wie Schweden stellen sich quer.
Anfang Dezember vergangenen Jahres verhinderte Stockholm die Aufnahme eines Verbots von Handelsbeziehungen mit in Syrien aktiven Telekomgesellschaften in die EU-Sanktionen. "Ericsson-Faktor" nannten das europäische Diplomaten gegenüber schwedischen Medien. Das schwedische Unternehmen wird schon länger bezichtigt, Telekomausrüstung, mit der auch die Überwachung des Mobiltelefonverkehrs möglich ist, an Diktaturen zu verkaufen. Neben Iran und Weißrussland hat auch Syrien die "Ranos"-Technik ("Radio Access Network Operational Support") bekommen. Diese ermöglicht, einzelne Handys zu orten.
Tausend getötete Oppositionelle und massive Kritik konnten Ericsson bislang nicht veranlassen, seine Geschäftsbeziehungen mit Amman zu beenden oder auch nur seine syrische Niederlassung zu schließen. Der Telekomkonzern verteidigt sich: Gerade aufgrund des Mobilfunksystems wisse man im Ausland, was in Syrien passiert. Dass auch syrische Oppositionelle nach Ortung ihrer Handys festgenommen worden seien, sei "Missbrauch" der Technik, für den man nicht verantwortlich gemacht werden könne, so Ericsson-Sprecher Fredrik Hallstan.
Wem nutzt die Mobiltechnik?
"Katastrophal" findet diese Haltung Jaber Zain, Sprecher einer schwedischen Koordinationsgruppe zur Unterstützung der syrischen Revolution: "Als schwedischer und europäischer Konzern sollte man eine höhere Ethik und Moral haben. Die wissen doch ganz genau, was dieses technische System kann und wofür es angewendet wird. Da kann man doch nicht behaupten, man habe keine Verantwortung."
Gerade weil die Ranos-Technik ein effektives Mittel des Regimes zur Verfolgung Oppositioneller ist, wurde der entsprechende Sanktionsbeschluss als bedeutsam gehandelt. Daher stimmten auch alle EU-Staaten für den entsprechenden Vorschlag - außer Schweden. Dass diese abweichende Haltung mit Druck seitens Syriens politischem Alliierten Iran, einem wichtigen Handelspartner Stockholms, zu tun habe, wies Außenminister Carl Bildt zurück. Man habe den entsprechenden Sanktionsbeschluss auch nicht mit Rücksicht auf eigene wirtschaftliche Interessen gebremst, sondern weil die Mobiltechnik der Opposition nutze. Sie sei eine von "deren besten Waffen".
Opposition nutzt Satelittentelefone
Das ist unzutreffend, meint die schwedische Grünen-Abgeordnete Bodil Ceballos. Habe das Mobiltelefon tatsächlich eine wichtige Funktion im Arabischen Frühling gespielt, treffe das für Syrien nicht mehr zu. Die Opposition verzichte mittlerweile auf Handy und benutze in wachsendem Maße nicht zu ortende Satellitentelefone.
Jaber Zain hat ähnliche Informationen: "Die Kommunikation mit dem Ausland läuft über Satellit. Schweden will nur Ericssons ökonomische Interessen schützen." Noch nie hatte das Land so intensive Wirtschaftsbeziehungen mit Syrien wie derzeit. Im vergangenen Jahr stieg der Handel um 20 Prozent. Die Hälfte entfällt auf Telekomprodukte.
7 Feb 2012
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