taz.de -- Menschenrechte zur EM und zum ESC: Dann wohl doch nicht igitt genug

In der Menschenrechtsdebatte zur Fußball-EM in der Ukraine und zum Eurovision Song Contest in Aserbaidschan wird geheuchelt. Das führt zu nichts.
Bild: Gute Ukraine: Fußball. Schlechte Ukraine: Umgang mit Expremier Timoschenko.

Will man in diesen Tagen ein Interview mit dem deutschen Aspiranten für den Eurovision Song Contest (ESC) haben, bittet seine Plattenfirma freundlich darum: Bitte nicht nur Fragen über Menschenrechte in Aserbaidschan stellen!

Eine Rückfrage beim Management von Roman Lob ergibt: Momentan wollen alle Journalisten von diesem 20-jährigen Industriemechaniker hauptsächlich Expertise zu den sozialen Verwerfungen am Austragungsort des europäischen Pop-Wettbewerbs – und von ihm am liebsten hören: Na, das finde ich aber auch alles schrecklich, was da so vor sich geht.

Man darf inzwischen erwarten, dass demnächst Joachim Löws Auswahlspieler, die sich auf den Weg nach Polen und in die Ukraine begeben, nicht nach Adduktorenproblemen, Viererketten und Titelchancen befragt werden, sondern: Herr Podolski, Herr Schweinsteiger, Herr Reus, wie denken Sie über die politische Unterdrückung in der Ukraine? Mehr noch: Soll man diese Events boykottieren? Sind Sie solidarisch mit Julia Timoschenko?

Dumm und naiv?

So fällt der mediale Generalbass in Sachen ESC aus, so wird es in Zeitungen und Zeitschriften, bei „Kulturzeit“ oder bei „Titel Thesen Temperamente“ erörtert: Wäre es nicht eine Frage der menschenrechtlichen Korrektheit, nicht beim ESC mitzumachen?

Wie dumm und naiv, so wird unterstellt, können westliche Delegationen nur sein, dort zu performen, wo Meinungs- und Demonstrationsfreiheit klein gehalten werden? Aserbaidschan, Ukraine – Pfuhle politischer Verderbnis, die Verurteilung verdienen.

Tatsächlich treffen vermutlich alle Befunde, ausweislich der Berichte von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Reporter ohne Grenzen zu: Aserbaidschan ist kein Land, das so rechtstaatlich funktioniert wie die Bundesrepublik oder die Schweiz.

Aber: Wenn man Länder wie dieses Öldorado am Kaspischen Meer für so sehr igitt hält, wenn man Staaten wie die Ukraine oder Weißrussland für derart indiskutabel erklärt, dann müsste die Konsequenz sein, sie aus allen internationalen Wettbewerbszusammenhängen im Sport und in der Unterhaltung auszuschließen. Dann dürften beim ESC etwa ein Drittel der Länder nicht mitmachen. Und vor der Fußball-EM in Polen und der Ukraine hätte ein Drittel der Landesverbände schon bei der Qualifikation verbannt werden müssen.

Menschenrechte interessanter als Roman Lob

In Wahrheit geht es hier viel um mediale Aufmerksamkeitschancen. Ginge es ernsthaft um Menschenrechte, würde man an die Zeiten der Entspannungspolitik erinnern: Jene, die am lautesten gegen die Zone und den Ostblock wetterten, kriegten dort, als es um Reise- und Besuchsfreiheiten ging, extra kein Bein an Land.

Medial gilt jedoch, was ein Journalist über den ESC sagte: Ich mache viel über Menschenrechte, weil Roman Lob nicht so interessant ist wie Lena Meyer-Landrut. Kommt in Deutschland auch besser.

Die Crux ist nur, dass die Menschen, um die es in Aserbaidschan geht, unbedingt möchten, dass der ESC-Tross dort Halt macht. Sie hoffen, die Fans und Journalisten würden ihre Augen aufmachen für ihre berechtigten Anliegen. Für die Zerstörung der Gründerzeitarchitektur Bakus zugunsten einer Modernisierung, die wie gläserner Schutt aussieht, der noch nicht zu Boden gesunken ist.

Menschenrechte, das ist vor allem das deutsche (Medien-)Problem, werden immer als Selbstbespiegelung inszeniert: Seht her, wie radikal ich mich einsetze! Boykotte nützten hingegen nie – weder bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau noch vier Jahre später in L. A. Anders gesagt: Die Gutherzigen spielen sich als solche auf – was sie tun, führt zu nichts.

Aserbaidschans NGOs haben noch nie so viel Interesse auf sich gezogen wie jetzt zum ESC. Das freut sie. Sie wissen jedoch, dass es nach dem Event erloschen sein wird. Die Mahner und Monierer wenden sich dann anderen Objekten zu. Gelegenheiten gibt es fast überall.

26 Apr 2012

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Jan Feddersen
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