taz.de -- Julia Timoschenko im Hungerstreik: Kritik von allen Seiten

Angesichts des sich verschlechternden Gesundheitszustands von Timoschenko äußerten Russland und der Europarat Kritik an der Ukraine. Kurz vor der EM kommt das nicht gut.
Bild: Anhänger Julia Timschenkos demonstrieren in Kiew.

MOSKAU/STRASSBURG dpa/afp | Russland hat die Ukraine zu einem „humanen Umgang“ mit der im Hungerstreik befindlichen Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko aufgefordert. Moskau nehme „mit Besorgnis“ zur Kenntnis, dass sich der Gesundheitszustand der inhaftierten und erkrankten Oppositionsführerin offenbar verschlechtert habe. Das teilte das russische Außenministerium am Mittwoch auf seiner Internetseite mit.

„Wir rechnen damit, dass die Behörden alle notwendigen Maßnahmen zur Wahrung ihrer legitimen Rechte ergreifen“, unterstrich das Außenamt in Moskau. Russland hatte bereits den Prozess gegen Timoschenko kritisiert.

Auch die Europäische Union und der Europarat haben sich „äußert besorgt“ über den Gesundheitszustand der früheren ukrainischen Regierungschefin Julia Timoschenko geäußert. Timoschenkos Hungerstreik werde ihre ohnehin angeschlagene Gesundheit weiter verschlechtern, warnte der Vorsitzende der Parlamentarier-Versammlung des Europarats, Jean-Claude Mignon, am Dienstagabend in Straßburg.

Der Franzose von der konservativen Regierungspartei UMP appellierte an die Regierung in Kiew, eine Untersuchung und Behandlung Timoschenkos durch „unabhängige Ärzte“ zu erlauben. Außerdem müssten Vertreter der internationalen Gemeinschaft die Möglichkeit erhalten, die inhaftierte Oppositionspolitikerin zu besuchen.

Vaatz fordert Konsequenzen für die EM

Der Chef der Berliner Charité, Karl Max Einhäupl, sagte, er mache sich „erhebliche Sorgen“. Timoschenko habe bereits unter „starker psychischer Anspannung“ und „körperlichem Stress“ gestanden, sagte er dem ZDF. Einhäupl hatte Timoschenko vor kurzem untersucht.

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Arnold Vaatz, hat Konsequenzen für die Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine gefordert. „Die ukrainische Regierung darf für dieses Vorgehen in keiner Weise politisch belohnt werden. Man muss ihr vielmehr die Möglichkeit verbauen, die Fußball-Europameisterschaft als Form der Anerkennung ihrer Regierungspraktiken zu verkaufen“, sagte der CDU-Politiker der Mitteldeutschen Zeitung.

Vaatz fügte hinzu: „Unsere Offiziellen müssen sich ganz klar abgrenzen vom Vorgehen der Regierung. Ich rede hier vom Deutschen Fußball-Bund, aber auch von jedem anderen, der dort in offizieller Mission aufkreuzt.“

Die 51-Jährige war im Oktober 2011 in einem als politisch motiviert kritisierten Prozess wegen angeblichen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Seit kurzem wird gegen die Führerin der prowestlichen Orangenen Revolution von 2004 in einem zweiten Verfahren wegen Steuerhinterziehung und Veruntreuung verhandelt.

Aus Protest gegen ihre Haftbedingungen befindet sich Timoschenko nach Angaben ihres Anwalts seit dem 20. April im Hungerstreik.

25 Apr 2012

TAGS

Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Schwerpunkt Fußball-EM 2024

ARTIKEL ZUM THEMA

Druck auf Ukraine vor der EM: Harsche Kritik von Medwedjew

Der russische Präsident moniert den Umgang der Ukraine mit Julia Timoschenko. Bei verbündeten Ländern ist Medwedjew jedoch nicht so zimperlich.

Berliner Ärzte machen Druck auf Kiew: Appell an die Humanität

Charité-Ärzte pochen auf ihre Kompetenz: Sie fordern die ukrainische Regierung auf, die inhaftierte Oppositionspolitikerin Timoschenko ausreisen zu lassen.

Bomben detonieren in Dnjepropetrowsk: Explosionen und Verletzte in Ukraine

Aus der ukrainischen Stadt Dnjepropetrowsk sind vier Explosionen gemeldet worden. Mindestens 27 Menschen sollen bei den Detonationen verletzt worden sein.

Proteste gegen Timoschenko-Misshandlung: Anhänger blockieren Parlament

Die ukrainische Politikerin im Hungerstreik beschwert sich, dass sie trotz akuter Erkrankung nicht behandelt wird. Sie spricht von Misshandlung. Abgeordnete ihrer Partei werden aktiv.

Menschenrechte zur EM und zum ESC: Dann wohl doch nicht igitt genug

In der Menschenrechtsdebatte zur Fußball-EM in der Ukraine und zum Eurovision Song Contest in Aserbaidschan wird geheuchelt. Das führt zu nichts.

Haftbedingungen von Timoschenko: Gauck sagt Ukraine-Besuch ab

Mitglieder der Bundesregierung sind über den Zustand der inhaftierten ukrainischen Politikerin Timoschenko besorgt. Bundespräsident Gauck hat einen Besuch in der Ukraine abgesagt.

Kommentar Ukraine: 900.000 Menschen pro Jahr

Schwerste Menschenrechtsverletzungen auf Polizeirevieren und in Haftanstalten sind in der Ukraine Alltag. Über diese Menschen spricht kaum jemand.

Grüne über EM-Hintergründe in Ukraine: „Da beißt man auf Granit“

Die grüne Sportpolitikerin Viola von Cramon über die politischen Realitäten im EM-Gastgeberland Ukraine und die Verantwortung der Sportverbände Uefa und DFB.

Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine: Schecks und Schlote

Kraft und Schönheit ist ihr Werbeslogan: Tief im Osten der Ukraine liegt Donezk, Spielort der Europameisterschaft. Wie fit ist die Stadt für das Großereignis?

Letztes Interview mit Ex-Fußballer Konietzka: „So will ich nicht enden“

Timo Konietzka, der erste Bundesliga-Torschütze, hat sich das Leben genommen. Im letzten Interview, das er gegeben hat, spricht er auch über seinen lange geplanten Tod.

Timoschenko schwer erkrankt: Verbotene Medikation

Ärzte aus Deutschland und Kanada reagieren nach dem Besuch bei der inhaftierten ukrainischen Oppositionsführerin besorgt. Die Mediziner glauben Timoschenko habe "permanent Schmerzen."