taz.de -- Aufklärung der Neonazi-Morde: Erster Eklat im NSU-Ausschuss

SPD und Linke werfen dem ehemaligen bayerischen Innenminister Beckstein vor, ein mögliches rechtes Motiv verborgen gehalten zu haben.
Bild: Versteckt sich gern: Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Beckstein. Wollte er ein rechtes Motiv vor der Öffentlichkeit verbergen?

BERLIN taz | Zum Auftakt ist es im Untersuchungsausschuss des Bundestags zu den Morden des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) noch zu einem ersten Eklat gekommen. Der Beobachter Bayerns musste den Ausschuss am Donnerstag verlassen, weil er dort noch als Zeuge geladen werden könnte.

Hintergrund ist die von SPD und Linken aufgeworfene Frage, ob der frühere bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) verhindern wollte, dass ein möglicher rechtsextremer Hintergrund der Mordserie in die Öffentlichkeit getragen wird. Eine entsprechende Spur hatte im Frühjahr 2006 ein Münchner Polizeiprofiler gelegt, offiziell hieß seine These „Einzeltätertheorie“.

Überraschend zog Wolfgang Geier, der ehemalige Leiter der Ermittlungen zu den Migrantenmorden, im Untersuchungsausschuss am Donnerstagabend nach mehreren Stunden der Befragung einen handschriftlichen Vermerk aus der Tasche.

„Minister sieht Einzeltätertheorie als kritisch für die Öffentlichkeit“, notierte Geier demnach im Juni 2006 nach einem Telefonat mit dem bayerischen Staatsministerium des Inneren. Das könne zu „Angst der türkischen Bevölkerung“ führen. An anderer Stelle ist in den Akten von einem „Zustimmungsvorbehalt der politischen Ebene“ die Rede.

Pikant: Erstellt hatte Geier seinen Vermerk nach einem Telefonat mit just jenem Beamten, der heute für den Freistaat die Arbeit des Untersuchungsausschuss begleitet - weshalb dieser die Sitzung denn auch verließ.

Schwarz-rot-goldener Sommer

„Warum wollte das bayerische Innenministerium unterdrücken, dass die Spur in Richtung Rechtsextremismus öffentlich thematisiert wird?“, fragte Sönke Rix, der für die SPD im NSU-Ausschuss sitzt. „Ich glaube, das war ein Fehler“.

Petra Pau, Obfrau der Linksfraktion im Ausschuss, fragte sich, ob 2006 im Vorfeld der Fußball-WM, ein rechtsextremistischer Hintergrund ausgeblendet worden sei, um das Deutschland-Bild nicht zu gefährden.

Auf die Antworten von Ex-Innenminister Beckstein vor dem Ausschuss kann man gespannt sein. Und mit der demonstrativen parteiübergreifenden Einigkeit in Sachen Aufklärung dürfte nun auch Schluss sein.

27 Apr 2012

AUTOREN

Wolf Schmidt
Wolf Schmidt

TAGS

Rechtsextremismus
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror

ARTIKEL ZUM THEMA

Demokratiefördergesetz: Unbegreiflich viel Zeit vertrödelt

Schon der NSU-Untersuchungsausschuss hat eine Verstetigung der Demokratieförderung gefordert. Unbegreiflich, dass es dann noch zehn Jahre dauerte.

Ermittlungspannen zum NSU-Terrortrio: Eine Mail voller Rechtschreibfehler

Der Chefermittler zu den NSU-Morden behauptete bisher, keine Hilfe vom Verfassungsschutz bekommen zu haben. Doch geheime Akten zeigen: Das war nicht die Wahrheit.

NSU-Ausschuss des Bundestages: Ermittlungen im „Staatsdöner“

Ein halbes Jahr lang verkaufte ein V-Mann Döner. So hofften die Ermittler die Mordserie an Migranten aufzuklären. Im Fokus hatten sie keine Nazis, sondern die "Dönermafia".

Aufklärung Jenaer-Zwickauer Terrorzelle: Sächsische Gemütlichkeit

Am Montag tagt der NSU-Untersuchungsausschuss in Dresden und will endlich erste Beschlüsse fassen. Doch aufs Tempo drückt nur die Opposition.

U-Ausschuss zur rechten Terrorzelle: „Das ist ein Trauerspiel“

Die ersten Zeugen sind vom Ausschuss zur Neonazi-Terrorzelle „NSU“ befragt worden. Sie berichten, wie schlecht die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden war.

U-Ausschuss zur NSU hört Zeugen: Selbst das FBI wurde ignoriert

Bei den Ermittlungen zur NSU-Mordserie ignorierte die Polizei Hinweise des FBI, dass es sich um Neonazis handeln könnte. Nun müssen die Ermittler vor dem Bundestag aussagen.

Pannen bei den Ermittlungen zum NSU: Spur Nr. 195 verlief im Sand

Schon 2006 hatten Ermittler die These eines rechtsextremen Motivs hinter der Mordserie an Migranten. Doch die Spur wurde „zurückgestellt“ – warum, ist unklar.

Polizeiprofiler war 2006 NSU auf der Spur: Deutsch, rechts, Serientäter

Es hätte die Wende sein können. Das Täterprofil eines Münchner Polizisten kam Böhnhardt und Mundlos 2006 extrem nah – bis auf ein folgenreiches Detail.