taz.de -- Frühere RAF-Terroristin Verena Becker: Die Agentin
Wegen der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback steht Verena Becker vor Gericht. Ausgerechnet Bubacks Behörde könnte ihre Verfolgung vereitelt haben.
„Wenn von uns niemand Aussagen gemacht hat, dann nicht, weil es darüber eine besondere ’Absprache‘ in der RAF gegeben hätte, sondern weil das für jeden Menschen mit politischem Bewusstsein selbstverständlich ist.“
Der markige Aufruf erging im Vorfeld des Prozesses gegen Verena Becker, einem früheren Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF), den die Zeitung Junge Welt vor zwei Jahren anonym veröffentlicht hat.
Eineinhalb Jahre nach dem Auftakt des Gerichtsverfahrens, nach etwa 80 Prozesstagen und nach der Vernehmung von knapp 170 Zeugen scheint es mit dieser behaupteten Selbstverständlichkeit nicht mehr weit her zu sein.
Verena Becker, angeklagt als Mittäterin beim tödlichen Attentat auf den Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine beiden Begleiter am 7. April 1977 in Karlsruhe, will sich am heutigen Montag erstmals vor dem Oberlandesgericht Stuttgart äußern.
Beckers Rolle beim Anschlag
Die heute 59-jährige Angeklagte soll der Bundesanwaltschaft zufolge eine maßgebliche Rolle sowohl bei der Entscheidung für das Attentat auf den obersten Strafverfolger als auch bei der Organisation des Anschlags gespielt haben. Das Attentat war der Auftakt jener Anschlagsserie der RAF, mit der die inhaftierten Gründungsmitglieder der Stadtguerilla, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Stuttgart-Stammheim freigepresst werden sollten.
Höhepunkt der von der zweiten Generation der RAF gestarteten „Offensive 77“ waren, nach dem Attentat auf Buback, der Mord an dem Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto sowie die Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer.
Als die Entführung eines Urlauberflugzeuges nach Mogadischu durch ein palästinensisches Kommando zur Unterstützung der RAF scheiterte, töteten sich am 18. Oktober die Inhaftierten Baader, Ensslin und Raspe selbst. Die dramatischen Ereignisse haben sich als „Deutscher Herbst“ ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben.
Man muss an diese Ereignisse erinnern, um die Bedeutung des Prozesses gegen Verena Becker weit mehr als 30 Jahre nach der Tat zu verstehen. Zum einen wurden zahlreiche Mitglieder der RAF wie Becker zu lebenslanger Haft verurteilt, ohne dass deren genaue Tatbeiträge vor Gericht im Detail verhandelt worden waren – unter anderem, weil nahezu alle Angeklagten konsequent jede Aussage verweigerten.
Prozess 33 Jahre nach der Tat
Verena Becker wurde daher auch Ende Dezember 1977 aufgrund einer Schießerei verurteilt, die ihr zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte. Wegen des Buback-Mordes wurde sie nicht einmal angeklagt, obwohl in ihrem Auto die Tatwaffe sichergestellt werden konnte.
Dass es 33 Jahre nach der Tat dennoch zum Prozess kommt, ist vor allem dem beharrlichen Auftreten Michael Bubacks geschuldet. Wie kein anderer hat der Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts Widersprüche in den Ermittlungen um den Mord an seinem Vaters öffentlich angeprangert, sodass sich die damalige Generalbundesanwältin Monika Harms im April 2010 am Ende genötigt sah, ein neues Verfahren auf den Weg zu bringen.
Besonders brisant ist dabei der Vorwurf des Buback-Sohnes, er könne sich die Nicht-Anklage Beckers nur dadurch erklären, dass jemand über Becker eine „schützende Hand“ halte. Michael Buback ist überzeugt, dass die als Mittäterin beschuldigte Becker auch die Person gewesen sein muss, die in der Karlsruher Innenstadt am Gründonnerstag des Jahres 1977 vom Rücksitz eines Motorrades aus mit einer Maschinenpistole seinen Vater ermordet hat.
Die Bundesanwaltschaft bestreitet das. Doch der Göttinger Chemie-Professor glaubt gar zu wissen, dass Becker geschützt wird, weil sie als Informantin für den Verfassungsschutz tätig wurde. Demnach hätten die Justizbehörden zum Schutz einer Quelle die Aufklärung des Mordes hintertrieben. Mit anderen Worten: Die Bundesanwaltschaft verhindert bis heute, dass die mögliche Mörderin ihres früheren Chefs Buback vor Gericht wegen Mordes zur Verantwortung gezogen wird.
Kein stichfester Beweis
Auch der Hamburger Sozialwissenschaftler und renommierte RAF-Biograf Wolfgang Kraushaar hat sich ausführlich mit der Causa Becker beschäftigt und ein Buch dazu veröffentlicht. Kraushaar will zahlreiche Hinweise dafür gefunden haben, dass Verena Becker eine Topquelle der Verfassungsschützer in der Spitze der RAF war, die wahrscheinlich schon zu Zeiten ihrer Mitgliedschaft im „2.Juni“ vom Verfassungsschutz angeworben wurde. „Das ist in der Tat die Vermutung, die ich formuliere“, konstatierte er in einem Rundfunkinterview. Wolfgang Kraushaar betont, ihm liege keine „smoking gun“, also kein stichfester Beweis, für seine These vor.
Der lange Weg der Verena Christiane Becker in den militanten Untergrund beginnt im Alter von 19 Jahren. Mit ihrer Freundin Inge Viett, die später auch zur RAF geht, wirft die Feministin nachts in Berlin die Scheiben von Sexshops ein, hinterlässt dabei Aufkleber: „Die schwarze Braut kommt“.
Becker unterstützt die „Schwarze Hilfe“, die sich für anarchistische Gefangene einsetzt. Zusammen mit Inge Viett stößt sie zur „Bewegung 2. Juni“, eine Gruppe der Stadtguerilla, die sich in ihrer Namensgebung auf den Tod des von einem Polizisten erschossenen Studenten Benno Ohnesorg bezieht.
Am 2. Februar 1972 beteiligt sich die 1952 geborene Becker an einem Bombenanschlag auf den „British Berlin Yacht Club“ in Berlin-Gatow. Es ist eine Solidaritätsaktion für die Genossen von der Irish Republican Army (IRA). Drei Tage zuvor hatten im nordirischen Londonderry britische Soldaten bei einer Demonstration 13 Katholiken erschossen. Aber die Bombe in Gatow explodiert nicht.
Hausmeister verblutet nach Bombenexplosion
Am nächsten Morgen findet der Yachtclub-Hausmeister die Metallkonstruktion. Arglos trägt er sie in seine Werkstatt, spannt sie in einen Schraubstock, um sie zu öffnen. Die Bombe explodiert. Der Hausmeister verblutet. Fünf Monate später wird Becker am 21. Juli in Berlin verhaftet und 1974 zu sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt.
Wenig später wird Peter Lorenz, der CDU-Spitzenkandidat, kurz vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus von Mitgliedern der „Bewegung 2. Juni“ entführt. Becker gehörte zu den Personen, die die Guerilla im Austausch mit Lorenz freipresst.
Becker gerät am Morgen des 3. Mai 1977 – vier Wochen nach der Ermordung Bubacks – zusammen mit ihrem Kampfgefährten Günter Sonnenberg in Singen in eine Personenkontrolle im Café Hanser. Es kommt zur Schießerei, einer der Polizisten wird lebensgefährlich verletzt. Sonnenberg erhält einen Schuss in den Hinterkopf, Becker wird in den Unterschenkel getroffen.
Im Wagen der beiden wird die Waffe sichergestellt, die bei dem Anschlag auf den Generalbundesanwalt benutzt wurde. Am 28. November 1977 beginnt in Stuttgart-Stammheim der Prozess. Einen Monat später wird Becker wegen der Schießerei zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach zwölf Jahren wird sie vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker begnadigt. Sie verlässt am 30. November 1989 die Justizvollzugsanstalt Willich.
DNA-Spuren am Bekennerschreiben
19 Jahre später ermittelt im April 2008 die Bundesanwaltschaft erneut. Neue Untersuchungen, auch angestoßen von Michael Buback, weisen DNA-Spuren Beckers am Bekennerschreiben zum Mord an Generalbundesanwalt Buback nach.
Daraufhin wird ihre Wohnung durchsucht, am 27. August 2009 wird Becker wegen des dringenden Tatverdachts, am Buback-Anschlag beteiligt gewesen zu sein, festgenommen, kommt vorübergehend in Untersuchungshaft. Sie lebt da bereits seit fast 20 Jahren im Haus ihrer Schwester in Berlin, ist im Branchentelefonbuch als Heilpraktikerin eingetragen, gilt als chronisch kranke, erwerbsunfähige Rentnerin.
Nach ihrer Festnahme wird bekannt, dass Becker sich schon Anfang der achtziger Jahre der Kölner Verfassungsschutzbehörde anvertraute. Sie verriet auch einiges über das Innenleben der RAF und über das Attentat auf Buback. So sei die Entscheidung über dessen Leben und Tod auf einer „Vollversammlung“ von der RAF quasi basisdemokratisch gefällt worden. Becker nannte auch die Namen der Täter – der Geheimdienst schätzte ihre Angaben als seriös ein.
Originalakten sind geheim
Beckers Initiative zur Mitarbeit folgte einem schwer nachvollziehbarem Kalkül. Die in Köln einsitzende Frau wurde mehr als zwei Wochen vernommen. Zur Tarnung hieß es, sie sei schwer erkrankt in ein Krankenhaus verlegt worden. Die Inhaftierte will ihren Gesprächspartnern nur das berichtet haben, von dem sie vermutete, dass es den Geheimen ohnehin bekannt war – weil andere geplaudert hätten. Als „Honorar“ spekulierte sie auf eine vorzeitige Haftentlassung, um dann möglichst bald den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen. Dazu ist es aber nie gekommen.
Beckers Geheimdienstkontakte waren einigen wenigen RAF-Gefangenen bekannt. Nach der Ablehnung einer vorzeitigen Haftentlassung hatte sie sie selbst den Mitgefangenen gebeichtet und als „Sühne“ vorgeschlagen, sich umzubringen. Die GenossInnen lehnten ab, kappten aber jeden weiteren Kontakt.
Die Befragung beim Verfassungsschutz vor 30 Jahren füllt eine 82-Seiten-Akte vom 4. März 1982. Außerdem gibt es in Köln noch eine Fallakte, gut 200 Seiten, mit den Originalaussagen. Beides trägt seit beinahe drei Jahrzehnten den Stempel „Geheim“. Die Aufzeichnungen wurden nach langem Hin und Her vom CDU-Bundesinnenminister Thomas de Maizière zwar im März 2010 den Prozessbeteiligten zur Verfügung gestellt, deren Geheimhaltung aber nicht aufgehoben.
14 May 2012
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