taz.de -- Klage wegen Pestiziden in Argentinien: Die Mütter und das Gift der Felder

Der Einsatz von Pflanzengift in Ituzaingó im Norden Argentiniens macht die Bewohner des Dorfes krank. Erstmals stehen deshalb Sojaproduzenten vor Gericht.
Bild: Bedrohlicher Einsatz: In der Nähe der Felder von Ituzaingó stieg die Krebsrate.

CÓRDOBA taz | Von der alten Nationalstraße 9 biegt der Bus ab nach Ituzaingó. Knapp 30 Minuten dauert die Fahrt vom Zentrum der Provinzhauptstadt Córdoba in das südlich gelegene Viertel. Wie ein rechteckiges Anhängsel ragt Ituzaingó aus dem Grundriss der Millionenstadt.

Umgeben von weiten Feldern leben die Menschen in Ituzaingó wie auf dem Land. Über die Felder flogen noch bis vor wenigen Jahren Flugzeuge, die einen Mix aus Herbiziden, Pestiziden und Fungiziden auf die Sojapflanzen sprühten.

Gemächlich schaukelt der Bus vorbei an den flachen Steinhäusern. Nach dem landestypischen Schachbrettmuster gebaut, gleicht Ituzaingó einem argentinischen Musterdorf. Hinweise auf einen jahrzehntelangen Protest gegen die Agrochemikalien finden sich nirgends. Kein Graffito an den Hauswänden, kein Transparent ist über die Straßen gespannt. An der Endhaltestelle zieht der Bus seinen Wendekreis. Hier, am Ende von Ituzaingó, liegen die Felder. Heute sind sie Bauland. Noch ist wenig zu erkennen, aber bald sollen junge Familien einziehen.

Hinter einer Straßenecke spielt die kleine Morena vor dem Haus. „Sie hat Asthma“, sagt Großmutter Maria Cortéz. „Wir haben viele Kranke im Viertel.“ Gegenüber starb der Nachbar an Lupus, einer Autoimmunerkrankung, dort hat die Tochter Leukämie. Maria Cortéz zeigt die Straße hinauf und wieder hinunter. Seit vierzig Jahre wohnt die Siebzigjährige hier. Heute leben im Haus zehn Personen. Vor 15 Jahren wurde sie selbst wegen Gebärmutterkrebs operiert. Ob das mit den Chemikalien zusammenhing, kann sie nicht mit Sicherheit sagen. „Heute haben wir vor allem Angst um die Kinder.“ Ihr fünfjähriger Enkel Axel hat Bronchospasmus.

Im März 2011 wurde Axel eine Blutprobe abgenommen. Die Mutter Cecilia Angel war anfangs dagegen. „Es war die Angst vor dem Ergebnis, die Angst vor der Wahrheit.“ Insgesamt wurde 140 Kindern Blut entnommen. Untersucht werden soll, wer Agrochemikalien im Blut hat, und wenn ja, welche. Seit über einem Jahr warten die Familien auf die Ergebnisse. Demnächst sollen sie ihnen übergeben werden.

„Meine Tochter starb an einer Nierenmissbildung“

Schräg gegenüber steht das Haus von Sofia Gatica. Damals, 2001, liefen Kinder mit Mundschutz durch das Viertel und die Mütter trugen Kopftücher wegen der Chemotherapie. Eine Nachbarin erlitt mehrere Fehlgeburten, eine andere hatte Krebs, gegenüber hatte ein Mann Lupus, dort eine Frau Krebs. „Meine kleine Tochter starb an einer Nierenmissbildung, mein Sohn konnte sich kaum bewegen“, erzählt Gatica.

Gatica ging von Haus zu Haus und machte eine Liste – Name, Vorname, welche Krankheit, in welcher Krankenstation behandelt. Auf einen Plan der Siedlung malte sie in farbigen Kreisen die Krankheiten: rote Dreiecke – Leukämie, rote Kreise – Krebs. Je näher die Betroffenen an den Feldern wohnen, desto mehr Kreise.

Mit ihren Ergebnissen ging sie 2002 zur Gesundheitsbehörde. Als eine Reaktion ausblieb, mobilisierte sie erstmals öffentlich. Mit Kindern aus in den umliegenden Straßen malte sie Plakate mit Aufschriften wie „Wir haben Krebs“, „Wir haben Leukämie“, „Helft uns“. Schon ein Tag später meldete sich der Gesundheitsminister und teilte ihr mit, dass das Wasser im Viertel mit Endosulfan belastet sei, einem in vielen Ländern verbotenen Insektizid. „Ich hatte von Beginn an die Agrochemikalien in Verdacht. Von meinen Haus aus konnte ich ja die Flugzeuge sehen.“

Soziologen würden die 6.000 Einwohner von Ituzaingó als eine Mischung von unterer Mittel- und Unterschicht bezeichnen. Wer Arbeit hat, fährt ins Zentrum von Córdoba oder zu den nördlicher gelegenen Hallen der Fahrzeugbauer Fiat und Iveco. Viele im Viertel leben jedoch von Sozialleistungen. Niemand profitiert von der Landwirtschaft. Dennoch brachte der Protest gegen die Vergiftung ihres Ortes die Bewohner nur selten auf die Straße. Eine kleine Gruppe von ehemals 15, heute nur 5 Müttern treibt die Aufklärung voran.

„Eine Hysterie ausgelöst“

„Viele Nachbarn wollten ihre Krankengeschichte nicht in der Presse lesen und haben Angst, bei der Arbeitssuche ihre Adresse anzugeben. Ganz zu schweigen vom Werteverlust bei den Häusern und Grundstücken“, erklärt Marcelino Ponce. Im Nachbarschaftszentrum hat er die Mappe mit den Zeitungsausschnitten über Ituzaingó aufgeschlagen.

Gerade hat Ponce sein zweites Mandat als Vorsitzender des Nachbarschaftsrats angetreten. Der 60-Jährige wohnt mit seiner Familie nur zwei Blöcke von den Feldern entfernt. Krebserkrankungen gibt es in seiner Familie zum Glück nicht. Aus seiner Abneigung gegen die Mütter macht er keinen Hehl. „Nach Meinung der Señora, nach der schon genannten Señora …“ Er vermeidet Sofia Gaticas Namen, wo immer es geht. „Die hat mit ihren Hypothesen eine Hysterie ausgelöst. Alle meinten plötzlich, an Krebs sterben zu müssen.“

Als Gegenbeweis zieht er den Bericht der ersten Studie des Gesundheitsministeriums der Provinz Córdoba hervor. 2005 kommt darin eine Kommission zu dem Schluss, dass „die Untersuchung der onkologischen Fälle von Krebs zeigt, dass ihr Auftreten im Rahmen der internationale Werte liegt“, zitiert Ponce. „Das ist bis heute der einzige wissenschaftlich fundierte Untersuchungsbericht.“

Dass sich die Mütter nicht vereinnahmen ließen, wurmt ihn am meisten. „Die Mütter haben eine ganz eigene Art, die mir und meinen Compañeros nicht gefällt“, sagt er in gesenktem Tonfall. „Die machen morgen eine Straßenblockade, die wir gestern gar nicht beschlossen haben.“

Weit höher als der Landesdurchschnitt

Unterstützung kommt von außerhalb. Der Mediziner Medardo Avila, einige Jahre bei der städtischen Gesundheitsbehörde in leitender Funktion, sagt: „In Ituzaingó liegt Rate der an Krebs Verstorbenen mit 33 Prozent weit höher als der Landesdurchschnitt von 18 Prozent.“ Der Neonatologe gehört den „Mediziner aus besprühten Orten“ an, einer Gruppe von Ärzten, die in den letzten Jahren immer dringlicher auf die gesundheitlichen Folgen des Chemikalieneinsatzes hinweist.

„Was hier passiert, trifft auf viele Orte in Argentinien zu.“ Waren zuvor nur die unmittelbar mit den Agrochemikalien arbeitenden Personen und die Konsumenten der belasteten Nahrungsmittel betroffen, hat sich in den letzten 15 Jahren eine neue Kategorie von Kranken gebildet: die Anrainer der Felder mit Monokulturen. „In Argentinien leben rund 12 Millionen Menschen in Orten mit weniger als 100.000 Einwohnern, die vor allem von Soja und Mais umgeben sind.“ Der Einsatz von Agrochemikalien stieg von 30 Millionen Litern im Jahr 1990 auf 340 Millionen Liter im Jahr 2011, berichtet Avila.

Als sie 2008 wieder mit ansehen musste, wie aus der Luft gesprüht wurde, beschwerte sich Sofia Gatica zum wiederholten Mal bei den Behörden. Avila zeigte zudem die Verantwortlichen an. Diesmal mit Erfolg. Erstmals ermittelte die Staatsanwaltschaft. Ab Montag stehen zwei Sojaproduzenten und der Flugzeugbesitzer vor Gericht. Es ist das erste Mal, dass in Argentinien die für Sprüheinsätze Verantwortlichen vor einem Richter stehen müssen. Die Mütter von Ituzaingó werden als Zeuginnen aussagen.

Für ihr Engagement wurde Sofia Gatica vor Kurzem mit dem „Goldman Environmental Prize“ ausgezeichnet. Dass der Preis mit einer Summe Geld dotiert ist, hatte sich in Ituzaingó schnell herumgesprochen. Die schlägt aus unserer Krankheit Kapital, raunt es hinter vorgehaltener Hand. „Das Misstrauen, dass es uns gar nicht um die Gesundheit gehe, schlug uns immer entgegen.“

Anfang 2011 ist Sofia Gatica in die Innenstadt von Córdoba gezogen. Sie hat sich für die Gesundheit ihres Sohnes entschieden. In dessen Blut wurden zwei Chemikalien nachgewiesen. Eine Rückkehr nach Ituzaingó schließt sie aus. Nicht wegen der Anfeindungen. „Die habe ich 23 Jahre lang durchgestanden.“

8 Jun 2012

AUTOREN

Jürgen Vogt

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Schwerpunkt Monsanto

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