taz.de -- Kolumne Ostwärts immer: Es war kurz. Aber schön

Der Aufenthalt in Charkow mit ein bisschen Familienanschluss geht zu Ende. Zum Abschied gibt es eine kleine Geschenkeorgie. Und Bier.
Bild: Tschüss, Charkow!

Eine Tafel feiner Schokolade mit einem Bild vom Brandenburger Tor auf der Verpackung. Ein Kühlschrankmagnet – ebenfalls mit Brandenburger Tor, ein Reiseführer von Berlin auf Englisch. Ich kann mithalten. Ich habe auch schon etwas bekommen. Einen Stadtplan von Charkow, einen Kühlschrankmagneten mit einer Stadtansicht – ebenfalls von Charkow. Gibt der eine etwas, holt die andere sofort auch etwas aus dem Schrank. Zum Abschied von meinen Gastgebern in der ostukrainischen EM-Stadt veranstalten wir eine kleine Geschenkeorgie. Wir drücken uns. Schön war es und schade, dass es so kurz war.

Tatjana und Andrej bieten über eine private Zimmervermittlung Unterkünfte für Besucher in Charkow an. Im wirklich nicht hohen Preis inbegriffen: Familienanschluss. Schau, wie schön es hier ist. Merkst du, wie nett die Leute sind? Magst du noch ein Bier? Musst du wirklich morgen schon wieder abfahren?

Was für eine Stadt!

Wer Tatjana und Andrej kennenlernt, der bringt tolle Erinnerungen mit nach Hause. Magst du Borschtsch? Da kann man Schaschlik kaufen. Hier gibt es die besten Piroggen. Charkow, was für eine Stadt!

Noch vor ein paar Tagen habe ich den Vize-Premierminister Boris Kolsenikow gehört, wie er gesagt hat, 99,9 Prozent aller Hotelzimmer seien belegt, so als wolle er warnen vor einer Reise in die Ukraine. Die hohen Zimmerpreise, eine Nacht im Charkower Vorzeigehotel Aurora hätte man für für 700 Euro buchen können, kommentierte er mit einem Achselzucken. So ist der Markt, hat er gesagt und offensichtlich ist er der Meinung, dass die Menschen aus Westeuropa dieser Tage in sein Land kommen, um sich für ganz viel Geld ein Stückchen von einem raren Event zu kaufen, das nur alle vier Jahre stattfindet.

Kolesnikow? Wer ist das schon? Tatjana und Andrej lachen. Das ist doch dieser zwielichtige Typ, der sich am Turnier selbst so bereichert hat. Mit so einem wollen meine Gastgeber nichts zu tun haben. Der kennt sein Land doch gar nicht, der weiß doch gar nicht, dass es solche Leute wie uns gibt. Hotels? Wer übernachtet denn schon in Hotels? Das sind doch Räuber.

Nächste Woche haben Tatjana und Andrej wieder Übernachtungsgäste. Eine Familie aus dem russischen Belgorod will kommen. Die waren vergangene Woche schon zu Gast, wollten ein wenig EM-Stimmung atmen. Jetzt sind sie Freunde. Wann ich Andrej und Tatjana wohl wiedersehe? Als wir uns verabschieden sind wir felsenfest davon überzeugt, dass das schon bald der Fall sein wird.

18 Jun 2012

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Andreas Rüttenauer

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