taz.de -- Kolumne Ostwärts immer: Fasziniert von der Ukraine
Oleg, Tatjana, Andrej, Sascha – wie man Freunde findet, sie vergisst oder auch nicht.
Wie ist es mit Oleg? Er hat mich eingeladen, mit ihm über die Krim zu wandern. Der junge Fotograf ist stolz auf seine Heimat und möchte, dass sich eine ukrainische Nation mit ukrainischer Sprache entwickelt. Er selbst spricht im Alltag, auch in seiner russischstämmigen Familie, Russisch. Irgendwann sollen alle Ukrainisch sprechen, sagt er, später, viel später.
Drei Stunden lang unterhalten wir uns über sein Land. Vielleicht sehe ich ihn in Berlin wieder. Er hat will an einem Austauschprogramm für junge Journalisten teilnehmen. Ich möchte mit ihm auch über mein Land sprechen. Seine E-Mail-Adresse habe ich gespeichert.
Und Sascha? Mit dem Bauarbeiter aus Schitomir, auf dessen Fahrrad ich durch Kiew gefahren bin, habe ich mich am Abend vor dem Finale noch einmal getroffen. Auch er ist ein stolzer Ukrainer. Wenn er emotional wird, dann vergisst er, dass ich kein Ukrainisch verstehe. Wir lachen trotzdem viel. Seine Telefonnummer habe ich auf der ukrainischen SIM-Card gespeichert, die ich mir besorgt habe. Wahrscheinlich werde ich sie nie wählen. Ein Freund für drei Wochen.
Dafür Tatjana und Andrej. Sie haben einen Onkel in Wiesbaden, den sie jedes zweite Jahr besuchen. Sie haben sich bei Google Maps angeschaut, wo ich wohne. Wenn sie kommen, kann ich mich revanchieren für das Abendessen in ihrer Wohnung mit Blick auf das gülden glänzende Charkower Stadion. Wir haben viel gelacht zusammen.
Andrej und ich saßen tags darauf in kurzen Hosen und mit nacktem Oberkörper in der heißen Wohnung und haben gearbeitet. Andrej ist Manager bei einem Logistikunternehmen und stolz darauf, dass er dem neuen ukrainischen Mittelstand angehört. Mit Tatjana bin ich im virtuellen Kontakt. Eine ukrainische Facebookfreundin.
Ich denke an den Urlaub zurück, den ich mit meiner Familie vor sechs Jahren in der Ukraine verbracht habe, an die Freunde, die wir damals gefunden hatten. Tanja und Bohdan haben uns ihr Lemberg gezeigt. Auch sie hatten mir so viel über ihr Land erzählt und mich für ihr Land begeistert. Der Abschied war schwer. Ich habe nie wieder etwas von den beiden gehört, habe mich nie wieder bei ihnen gemeldet.
Nach drei Wochen Fußball-EM in Kiew, Lemberg, Donezk und Charkow sitze ich auf meinem gepackten Koffer und nehme mir vor, dass das diesmal ganz anders wird. Die Ukraine hat mich fasziniert. Als ich die deutsche SIM-Card in mein Handy schiebe, denke ich an Sascha. Vielleicht ist es das letzte Mal.
2 Jul 2012
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