taz.de -- Abstufung Deutschlands droht: Musterschüler mit ungewisser Zukunft

Die Finanzmärkte reagieren kaum auf die Verwarnung Deutschlands durch die Ratingagentur Moody's. Höhere Zinsen drohen nicht. Was soll das dann?
Bild: Grau ist in Frankfurt nur das Wetter, nicht aber die Stimmung.

Die US-Ratingagentur Moody’s hat Deutschland verwarnt. Die Bundesrepublik hat zwar immer noch die Bestnote „Aaa“, doch der Ausblick wurde von „stabil“ auf „negativ“ gesenkt. Das wirft diverse Fragen auf.

Warum wird Deutschland verwarnt? Moody’s sieht die Gefahr, dass Griechenland aus dem Euro ausscheiden könnte. Dieser „Grexit“ gehört zwar noch nicht zum „Basisszenario“ der Agentur, sei aber wahrscheinlicher geworden.

Sollte Griechenland die Eurozone verlassen, wären die Kosten immens. Denn Spanien und Italien sowie diverse Banken wären umgehend pleite, wie Moody’s befürchtet. Also müssten vor allem die starken Euroländer wie Deutschland oder die Niederlande neues Geld bereitstellen, um den Euro zu retten. Diese steigenden Schulden würden dann auch die Kreditwürdigkeit der reichen Staaten gefährden.

Wie geht es anderen Euroländern? Da die Kosten einer verschärften Eurokrise alle starken Länder belasten würden, hat Moody’s nicht nur Deutschland mit einem negativen Ausblick versehen – sondern auch bei Luxemburg und den Niederlanden ist das Aaa nun eingetrübt. Frankreich und Österreich wurden bereits im Februar abgemahnt. Nur Finnland hat noch ein Aaa mit „stabilem Ausblick“.

Wie haben die Finanzmärkte reagiert? Fast gar nicht. Der Euro notierte am Dienstag bei 1,2089 zum Dollar, am Montag waren es 1,2105 gewesen. Der Aktienindex DAX stagnierte ebenfalls und lag am Dienstagnachmittag bei 6.420 Punkten.

Warum sind die Anleger so gelassen? Moody’s liefert keine neue Fakten – sondern bewertet öffentlich bekannte Daten. Böse formuliert: Die Ratingagenturen lesen auch nur Zeitung. Sie sind nicht besser informiert als andere Analysten. Die Eurokrise ist daher auf den Finanzmärkten bereits „eingepreist“.

Was kann die Anleger noch schockieren? Die Investoren reagieren sehr sensibel auf jede politische Nachricht. Als an diesem Wochenende die Vermutung kursierte, dass der Internationale Währungsfonds vielleicht keine neuen Kredite an Griechenland vergibt – da stürzte der DAX am Montag um 3,2 Prozent ab. Damit verhalten sich die Anleger rational: Die Eurokrise wird politisch entschieden, nicht durch die Ratingagenturen.

Steigen jetzt die Zinsen für Deutschland? Damit ist nicht zu rechnen. Momentan zahlt die Bundesrepublik nur 1,23 Prozent für einen Kredit von zehn Jahren. Das ist sensationell, denn die Inflation liegt bei 1,7 Prozent. Die Anleger machen also Verlust, wenn sie ihr Geld in Deutschland parken. Auch diesen Investoren ist nicht entgangen, dass es eine Eurokrise gibt – dafür ist Moody’s nicht nötig. Aber sie sehen keine Alternative. Denn weltweit herrscht ein „Anlagenotstand“. Alle sicheren Länder werden mit Geld geflutet – und nehmen, wie Dänemark, teils schon Negativzinsen. Das heißt: Der Zins liegt unter null. Dänemark bekommt Geld dafür, dass es Geld leiht.

Welche Bedeutung hat das Rating für die europäischen Rettungsschirme? Der vorläufige Rettungsschirm EFSF und der permanente Rettungsschirm ESM müssen Kredite auf den Finanzmärkten aufnehmen, wenn sie Krisenländern wie Griechenland oder Portugal helfen wollen. Damit die Zinsen für die Rettungsschirme möglichst niedrig liegen, wurden diese so konstruiert, dass sie die Bestnote Aaa erhielten. Ohne in die Details zu gehen: Letztlich hängt dieses Rating der Rettungsschirme vom Rating der großen Euroländer wie Deutschland oder Frankreich ab. Wenn sie herabgestuft werden, sinkt auch die Kreditwürdigkeit von EFSF und ESM.

Was schlagen die Ratingagenturen vor? Meist halten sich die Agenturen mit klaren Empfehlungen zurück. So ist es auch diesmal. Moody’s sagt nicht, wie europäische Politiker die Eurokrise lösen sollen. Doch zwischen den Zeilen schimmert sehr starke Kritik am bisherigen Eurokurs durch. Moody’s warnt nicht nur davor, Griechenland aus dem Euro zu drängen – die Agentur beklagt auch den „reaktiven und graduellen“ Politikansatz. Übersetzt: Moody’s hält den Europäern vor, dass sie zu langsam und zu schwach reagieren, um die Eurozone zu retten.

Welche Rolle spielt die Staatsverschuldung für Ratings? Sie scheint recht nebensächlich zu sein. Wenn man sich das Rating einzelner Länder ansieht, fällt auf: Länder mit einer ähnlich hohen Staatsverschuldung erhalten unterschiedliche Ratings. So kommen die USA auf eine Staatsverschuldung von 100 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung – trotzdem werden sie von Moody’s mit der Bestnote Aaa versehen. Spanien hingegen hat nur eine Staatsverschuldung von 80 Prozent, wird aber abgestraft – mit einem Baa3, das sind neun Stufen unter den USA. Ähnlich seltsam ist der Vergleich mit Großbritannien: Das Land hat eine Bankenkrise wie Spanien und ist ökonomisch ruiniert. Trotzdem hat es ein Aaa.

Warum stehen die USA und Großbritannien besser da? Anders als die Europäische Zentralbank dürfen die Bank of England und die Fed die Staatsanleihen ihrer Länder aufkaufen. Die Kreditgeber können sicher sein, ihr Geld wiederzusehen. Dies wird belohnt – mit einem uneingeschränkten Aaa.

24 Jul 2012

AUTOREN

Ulrike Herrmann

ARTIKEL ZUM THEMA

Anlegerschutz in den USA: Ratingagenturen verlieren Immunität

Das Urteil einer New Yorker Richterin ermöglicht es Anlegern, Ratingagenturen einfacher zu verklagen. Zumindest in den USA.

Deutschland bremst EZB-Pläne: Ja. Nein. Vielleicht

Hin und her: Zunächst begrüßte die Bundesregierung die Pläne der Europäischen Zentralbank zum Kauf von Staatsanleihen, nun sendet sie wieder kritische Signale.

Moody's prüft deutsche Banken: Ungemütlicher Blick auf's Land

Die US-Ratingagentur Moody's senkt den Bonitätsausblick von 17 Geldhäusern von „stabil“ auf „negativ“. Die schlechte Prognose trifft vor allem die Landesbanken.

Kommentar Niedrige Zinsen: Anleger handeln richtig

Sie geben sich mit Mickerzinsen zufrieden, denn sie wissen längst: Die schwächelnde Realwirtschaft kann nicht weiter geschröpft werden.

Diskussion um Eurorettung: Anleihen kaufen, Gewinne überweisen

Um Spanien und Griechenland zu helfen, könnte der Rettungsschirm den Banken spanische Staatsanleihen abkaufen. Auch die Griechen könnten profitieren.

EFSF-Rettungsschirm droht Abwertung: Bayern im Moody's-Visier

Die Ratingagentur Moody's senkt nun auch die Aussichten für die Kreditwürdigkeit des EFSF-Rettungsschirms und mehrerer Bundesländer. Finanz-Experten warnen vor „Katastrophe“.

Kommentar zur Lage der Nation: Zeit zum Fürchten

Die Bonität des deutschen Staates sei nicht mehr über jeden Zweifel erhaben, findet die Ratingagentur Moody’s. Schlimmer ist aber etwas anders.

Schuldenkrise in Spanien: Mehr Geld ist nötig

Die Risikoaufschläge für Staatsanleihen in Spanien haben besorgniserregende Höhen erreicht. Zugleich meldet mit Katalonien schon die dritte Region Finanzprobleme.

Ratingagentur rät vom Reaktorbau ab: „AKW-Neubau kaum attraktiv“

Lohnt sich Atomkraft für Unternehmen? Eher nicht, meint Tuomas Erik Ekholm von der Ratingagentur Standard & Poors. Gleiches gelte auch für fossile Kraftwerke.

Moody's stuft Italien herab: Von A nach B

Die US-Ratingagentur Moody's hat in ihrer Bewertung italienische Staatsanleihen um zwei Stufen gesenkt. Es wurde auf die „Ansteckungsgefahr“ Griechenlands und Spaniens verwiesen.

Debatte Armut: Gebot der Gerechtigkeit

Mehr Bildung und höhere Transfers allein werden die soziale Schere nicht schließen. Es braucht mehr, um Umverteilung nach oben zu stoppen.