taz.de -- Besser Radeln II: Immer ein Rad griffbereit

Zum Beispiel Paris: Dank der Einführung des Leihsystems "Vélib" ist das Rad in der Stadt ein normales Verkehrsmittel geworden.
Bild: Auch im Winter chic: Vélibs in Paris.

Es ist ein herrliches Gefühl. Während sich morgens auf dem Boulevard Magenta im 10. Pariser Arrondissement Autostoßstange an Autosstoßstange reiht, rauscht man als RadfahrerIn einfach vorbei. Auf dem Bürgersteig gibt es einen eigenen Radweg, und es geht bergab – wunderbar! In Paris ist das Fahrrad mittlerweile ein normales Verkehrsmittel geworden.

Das hat vor allem mit der Einführung des Radleihsystems „Vélib“ zu tun, das gerade seinen fünften Geburtstag gefeiert hat. An die 25.000 Leihräder gibt es an mehr als 1.400 Stationen. „Ich glaube schon, dass man Paris mittlerweile als Fahrradstadt bezeichnen kann“, sagt der 23-jährige Martin Burgat. Zeitweise war er mit dem eigenen Rad unterwegs, jetzt ist er auf das Vélib umgestiegen. „Das ist flexibler“, berichtet Burgat. „Ich kann morgens ein Rad ausleihen und notfalls abends immer noch mit der Métro heimfahren.“

Gerade wegen der oft kurzen Wege ist das Rad häufig nicht nur schneller, sondern auch günstiger als Métro und Bus. 29 Euro kostet das Vélib-Jahresabo. Für Kurzbesuche kann man an den Stationen für 1,70 eine Tageskarte kaufen. Die Leute sollen dazu animiert werden, das Rad schnell weiterzugeben. Die ersten 30 Minuten sind umsonst, zusätzliche 30 Minuten kosten 1 Euro, danach steigt der Halbstundenpreis.

Insgesamt beträgt der Fahrradanteil an den Fahrzeugen in Paris weiterhin gerade mal 3 Prozent. „Das erscheint wenig, ist aber ein großer Fortschritt“, sagt Damien Steffan, Sprecher der Pariser Stadtverwaltung. Denn binnen zehn Jahren habe sich die Zahl der RadfahrerInnen verdoppelt. In Paris wurden seit der Vélib-Einführung mehr als 138 Millionen Fahrten zurückgelegt, und das System hat mittlerweile rund 225.000 Jahresabonnenten.

Doch beim Ausbau der Radinfrastruktur gibt es natürlich noch Nachholbedarf. Rund 650 Kilometer sind die Radverkehrsanlagen derzeit lang, bis 2014 sollen sie auf 700 Kilometer verlängert werden. Allerdings gibt es derzeit nur 225 Kilometer an eigenen Radwegen oder Radspuren. Häufig müssen sich die Räder mit Bussen eine Spur teilen – gerade in Paris nicht ganz ungefährlich.

„Die Leute müssen vor allem lernen, die Straße zu teilen“, glaubt Martin Burgat. Das gelte gerade für die vielen Mopedfahrer. So oder so eröffnet das Radfahren ganz neue Perspektiven auf die französische Hauptstadt. Das spürt man spätestens, wenn man einmal auf einer Schnellstraße die Seine entlanggeradelt ist – mitten durchs Zentrum. An Sonntagen ist diese Strecke für Autos gesperrt, stattdessen gehört sie den FußgängerInnen, SkaterInnen – und natürlich den vielen Vélos.

27 Jul 2012

AUTOREN

Johannes Kulms

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