taz.de -- Ethik statt Monetik: Unabhängige Neurologen
Eine finanzielle Abkoppelung von der Pharmaindustrie fordert eine Initative von Neurologen. So sollen an Leitlinien nur unabhängige Neurologen mitschreiben dürfen.
„NeurologyFirst“ nennt sich eine Ärzte-Initiative, die sich innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) gebildet hat. Per Aufruf appelliert sie an die Verbandsmitglieder, „drei Reformschritte zur Stärkung unserer professionellen Autonomie zu gehen“.
Schritt Nr. 1: „Die DGN-Jahrestagung muss von der pharmazeutischen Industrie entkoppelt werden.“ Der Kongress, der Ende September in Hamburg stattfand, ziehe Jahr für Jahr immer mehr Teilnehmer an und biete ein anspruchsvolles Programm. „Nicht zu übersehen“ sei aber, dass sich dabei wissenschaftliche Fortbildung und pharmazeutisches Marketing „überschneiden“.
Zwar würden Neurologen in diesem Rahmen nur selten offensichtliche Werbevorträge halten, „keinesfalls jedoch bewerten sie die Produkte des Geldgebers negativ“. Schlussfolgerung der Initiative: „Damit droht das kritische Potenzial aus der Deutschen Neurologie ,herausgekauft' zu werden.“
Schritt Nr. 2: „Wer relevante Interessenkonflikte hat, kann nicht Autor einer DGN-Leitlinie sein.“ Problematisch sei, wenn Ärzte in Leitlinienkommissionen Medikamente bewerten, von deren Produzenten sie Geld oder andere Vorteile annehmen. Der Aufruf fordert, dass nur noch solche Neurologen Leitlinien verfassen und bewerten, die unabhängig von Arzneimittelherstellern sind.
Schritt Nr. 3: „Der DGN-Kongress braucht ein Diskussionsforum zum Thema Interessenkonflikte.“
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie zählt derzeit rund 7.000 Mitglieder, den Aufruf haben bisher über 300 Neurologen unterschrieben. Am 31. Oktober 2012 endet die Zeichnungsfrist. Anschließend will „NeurologyFirst“ die gesammelten Unterschriften an den DGN-Vorstand übergeben.
Einen ersten Erfolg meldete die Ärzteinitiative Ende September auf ihrer Website [1][www.neurologyfirst.de]. Während der Mitgliederversammlung am 28. September habe der DGN-Vorstand bekannt gegeben, eine Kommission einzusetzen, die Vorschläge zum Umgang mit Interessenkonflikten erarbeiten soll.
Kommentar der unabhängigen Neurologen: „Wir begrüßen diesen Schritt und glauben, dass die DGN damit anderen medizinischen Fachgesellschaften beispielhaft vorangeht.“
10 Oct 2012
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Ein Kodex verpflichtet Pharmaunternehmen zu mehr Transparenz: Finanzielle Unterstützung von Kongressen und Fortbildungen muss offengelegt werden.
Ein US-Unternehmen bringt eine App heraus, mit der Küchenschaben ferngesteuert werden können. Tierschützer und Ethiker sind entsetzt.
Leitlinien helfen Ärzten, die richtige Behandlung zu wählen. Nicht immer ist gewährleistet, dass diese Empfehlungen von unabhängigen Experten kommen.
Ein krebskranker Patientenvertreter wirbt für eine EU-Verordnung zu Arzneistudien, die Standards senkt. Sein Verein bekommt Geld von Arzneifirmen.
Krankenkassen und Ärzte haben sich geeinigt. Es gibt mehr Geld. Aber die Proteste werden fortgesetzt, Praxisschließungen drohen.
Pharmakonzerne wollen finanzielle Zuwendungen an Ärzte durchschaubar zu machen. Mit Selbstregulierung sollen Gesetze verhindert werden.
Auch bei der Überprüfung, ob Patientenselbsthilfegruppen von der Pharmaindustrie unterwandert werden, setzen die Vereine und Verbände auf Eigeninitiativen.
Die Kölner Uniklinik forscht im Auftrag der Bayer AG. Im Vertrag ist die Entwicklung und Testung von neuen Medikamenten vereinbart. Viel mehr verrät die Uniklinik nicht.
Deutsche Arzneimittelstudien werden international. Um unter den Marktführern zu bleiben könnten deutsche Kliniken bald Tests in Osteuropa oder China durchführen.
Nicht immer sind Patienten-Selbsthilfegruppen unabhängig. Einige Organisationen sind nicht nur von den finanziellen Zuwendungen der Pharmaindustrie abhängig.
Unabhängig und neutral soll Impfstoffkommission empfehlen, welche Impfungen Krankenkassen zahlen müssen. Doch immer mehr zweifeln daran, ob die Kommission wirklich unabhängig ist.