taz.de -- Vertrauensfrage wegen Abtreibung: Regierung Tusk vor dem Abort

Nachdem Abgeordnete seiner Partei einen Antrag auf Verschärfung des Abtreibungsrechts unterstützten, ruft der bedrängte Premier zu Vertrauensabstimmung.
Bild: Premierminister Donald Tusk: Bei strengeren Atreibungsregelungen will er nicht mitmachen.

WARSCHAU taz | Polens Regierung ist durch eine Abstimmung über die Verschärfung des ohnehin schon sehr streng geregelten Abtreibungsrechts in Polen in eine Krise geraten. Viele Abgeordnete der regierenden Bürgerplattform (PO) stimmten am Mittwoch für den Vorschlag der rechtsnationalen Opposition, demnächst Abtreibungen auch nach Vergewaltigungen und bei sicher diagnostizierter schwerer Schädigung des Fötus zu verbieten.

Zwar murrten die Bürger schon länger über die vor sich hindümpelnde Politik, doch diese Abstimmung brachte das Fass zum Überlaufen. Erstmals seit fünf Jahren liegt in den Umfrageergebnissen die Zustimmung zur Regierung unter der zur rechtsnationalen Opposition.

Am Freitag noch wollte Premier Donald Tusk im Parlament die Vertrauensfrage stellen, mit dem Ziel, zumindest die Reihen der Regierungskoalition wieder zu schließen. Die Debatte dauerte bei Redaktionsschluss noch an.

In seiner Rede zu Beginn der Sitzung ging Tusk jedoch auf die Abtreibungsproblematik überhaupt nicht ein. Stattdessen sprach er über den Bau von Autobahnen und die Revitalisierung der maroden polnischen Bahn. Eltern von schwerstkranken Kindern erhalten vom polnischen Staat fast keine Hilfe. Tusk kündigte auch nicht an, dass seine Regierung dies in Zukunft ändern werde.

Strenge Abtreibungsregelungen

Polen hat schon heute eine der strengsten Abtreibungsregelungen Europas. Nur in drei Fällen darf eine Schwangerschaft legal unterbrochen werden: bei Gefahr für Leib und Leben von Mutter oder Kind, nach einer Vergewaltigung oder bei schwerster Schädigung des Fötus.

Da Polens katholische Priester und Bischöfe aber jede Abtreibung als „Mord an einem ungeborenen Kind“ bezeichnen und auf Gynäkologen und deren Familien moralischen Druck ausüben, ist selbst die Zahl der legalen Abbrüche in diesen Fällen niedriger als in anderen Staaten.

Dafür blüht der Abtreibungstourismus in Kaliningrad, in der Ukraine und der Slowakei. Nach Schätzungen finden in Polen jedes Jahr rund 200.000 illegale Abtreibungen statt.

Ohne politische Heimat

Die Intellektuellen, die bislang die Bürgerplattform unterstützt haben, ziehen sich nun massenweise aus der Politik zurück. Mit der Abtreibungssitzung im Sejm haben sie endgültig ihre politische Heimat verloren. Eine neue ist nicht in Sicht.

Denn unwählbar ist für sie sowohl die rechtsnationale PiS unter Jaroslaw Kaczynski als auch das Bündnis der demokratischen Linken (SLD) unter dem Altkommunisten Leszek Miller. Die bunte Palikot-Bewegung wiederum wirkt mit ihrem Minderheitenschwerpunkt nicht wie eine Regierungspartei.

Gewinner der Krise sind die Rechtsnationalen rund um die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Zwar machen deren Anhänger nur rund 25 Prozent aus, doch wenn sich die Masse der Polen aus der Politik zurückzieht, steigt die Chance der Rechtsnationalen auf einen Sieg bei den nächsten Wahlen.

12 Oct 2012

AUTOREN

Gabriele Lesser

TAGS

Polen
Polen
EU
Schwerpunkt Abtreibung

ARTIKEL ZUM THEMA

Polens Regierungspartei in der Krise: Tusks Bastion bröckelt

Der Bürgerplattform des Premiers kommen drei prominente Mitglieder abhanden. Damit schrumpft die Parlamentsmehrheit auf zwei Mandate.

Gewerkschaftsproteste in Polen: Eintopf im Dauerregen

Bis zum Samstag hoffen die Gewerkschaften auf bis zu 100.000 Demonstrierende. Es geht um Arbeitszeiten – und natürlich den Sturz der Regierung.

Viele EU-Staaten erschweren Abtreibung: Mit Gott gegen die Selbstbestimmung

Nicht nur Polen beschränkt das Abtreibungsrecht. Auch andere EU-Staaten behandeln Schwangerschaftsabbrüche noch immer restriktiv.

Abtreibungsverbot in Polen: Lebensschützer und der „Fall Agata“

Vergewaltigungsopfer haben in Polen ein Recht auf Abtreibung. Doch das hilft weder gegen Mobbing noch gegen falsche Beratung.

Regierungskrise in Polen: 14 sichern Tusk das Vertrauen

Es hat gereicht: Polens Regierungschef Donald Tusk hat die überraschend gestellte Vertauensfrage überstanden. Nun gibt er sich für die Zukunft pragmatisch.

Experten fordern rezeptfreie "Pille danach": Gestatten, Gestagen

Die "Pille danach" dient als Verhütung für den Notfall. Experten sind der Meinung, man sollte sie längst einfach in der Apotheke kaufen können.

Parlamentswahl in Polen: "So bin ich Sozialistin geworden"

Wenn sie es ins Parlament schafft, will Alicja Tysiac sich vor allem für Frauenrechte einsetzen. Als Opfer des polnischen Katholizismus hat sie allen Grund dazu.

Streit um künstliche Befruchtung in Polen: Klerus erpresst In-vitro-Befürworter

Die katholische Kirche drohte Abgeordneten vor einer Abstimmung über künstliche Befruchtung mit der Exkommunikation. Die Entscheidung musste vertagt werden.

14-jährige Polin nach Vergewaltigung schwanger: Zum Mutterglück gezwungen

In Lublin wird ein Mädchen durch eine Vergewaltigung schwanger. Ihre Versuche abzutreiben, werden von der katholischen Kirche und Pro-Life-AnhängerInnnen verhindert.