taz.de -- Auseinandersetzugen in Beirut: Tränengas zum Begräbnis

Trauernde beschuldigen das syrische Regime für das Attentat vom Freitag. Demonstranten versuchen, die Zentrale der prosyrischen Regierung zu stürmen.
Bild: Zunehmende Spannungen: Demonstranten durchbrachen die Absperrungen vor dem Regierungsgebäude

BEIRUT taz | Am Rande der Trauerfeiern für die Opfer eines Bombenanschlags ist es am Sonntag in Beirut zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Hunderte Demonstranten versuchten, aus Protest gegen die prosyrisch eingestellte libanesische Regierung den Regierungssitz zu stürmen. Die Polizei setzte Tränengas ein, Schüsse waren zu hören. Mehrere Menschen wurden verletzt.

Tausende hatten sich zuvor friedlich auf dem Märtyrerplatz im Zentrum versammelt. Ihre Trauer galt Wissam al-Hassan, dem bei einem Bombenattentat getöteten Geheimdienstchef. Ihr Protest richtete sich gegen Syriens Präsident Baschar al-Assad, dem sie vorwarfen, den Anschlag inszeniert zu haben.

Al-Hassan und sieben weitere Menschen waren am Freitag getötet worden, als eine Autobombe in einem mehrheitlich christlichen Viertel Beiruts explodierte. Der Anschlag versetzte das Land in Schock. „Ich bin heute hier, weil sie Wissam al-Hassan getötet haben“, sagte der 51-jährige Elias Pharaon. Wer hinter dem Attentat steht, ist für ihn klar. „Baschar al-Assad und ihre Verbündeten von der Hisbollah kümmern sich nicht um das Wohlergehen des Libanon.“

Mit Fahne und Libanon-Kappe stand al-Hassan unweit Beiruts berühmter Unabhängigkeitsstatue. Die Massendemonstrationen auf diesem Platz beendeten vor sieben Jahren die 29 Jahre währende syrische Besatzung. Dutzende junger Männer standen auf der Statue und schwenkten Parteifahnen des Oppositionsbündnisses.

Demonstranten fordern Rücktritt des Premiers

„Premierminister Nadschib Mikati muss zurücktreten“, fügte Pharaons Frau Nadine hinzu. „Er ist Assads Mann im Libanon.“ Libanons Regierung wird von der schiitischen Hisbollah dominiert, die wiederum Assads Regierung unterstützt. Die Menschen auf dem Märtyrerplatz antworteten mit Buhrufen und „Mikati muss gehen“-Sprechchören auf den Auftritt des Premierministers während der Beerdigung. Der hatte zuvor seinen Rücktritt angeboten, was der Präsident aber ablehnte.

Trotz vermehrter Spannungen zwischen den verschiedenen libanesischen Oppositionsgruppen in den vergangenen Monaten, traten gemäßigte Sunniten und Christen gemeinsam bei der Beerdigung auf.

„Al-Hassan wurde getötet, weil er keine Angst vor dem syrischen Regime hatte“, fasste Pharaon die Meinung vieler Oppositioneller im Libanon zusammen.

Al-Hassan galt als ein enger Freund des früheren Premierministers Rafik Hariri, der 2005 ebenfalls bei einem Bombenattentat ums Leben kam. Auch hier gilt in Oppositionskreisen Syrien als Drahtzieher. Nach dem Umzug durch Beirut, mit Stopps am Hauptquartier des Geheimdiensts und dem Ort des Bombenanschlags wurde al-Hassan direkt neben Hariri zu Grabe getragen.

21 Oct 2012

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Raphael Thelen

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