taz.de -- Rassismus auf dem Land: Weg mit dem Gäste-Schreck

Der Gemeinderat Undeloh hat gegen eine Flüchtlingsunterkunft in seinem Dorf gestimmt. Flüchtlinge würden rumgammeln und Besucher vergraulen.
Bild: Eindeutiges Votum: Der Gemeinderat stimmt gegen die geplante Flüchtlingsunterkunft.

HAMBURG taz | Mehr 70 Undeloher sind am vergangenen Montagabend zur Gemeinderatssitzung in die Gaststätte Heiderose gekommen. Auf der Tagesordnung stand die Frage, ob das ehemalige Hermann-Löns-Café mitten im 400-Seelen-Ort in der Lüneburger Heide zu einer Flüchtlingsunterkunft umgebaut werden soll. Man musste noch extra Tische und Stühle hereingetragen, denn sonst kommen zu solchen Sitzungen maximal zehn Dorfbewohner. Und am Ende war das Votum des neunköpfigen Gemeinderats einstimmig: Nein, wir wollen hier keine Flüchtlinge.

Dieser Entscheidung war eine Debatte vorausgegangen, die Bernhard Frosdorfer, Sprecher des Landkreises Harburg, als „Einzelfall“ bezeichnet, den er so noch nicht erlebt habe. Ein Vertreter des Landkreises hatte das Konzept vorgestellt. Die seit November leer stehende Pension könnte vom neuen Eigentümer, einem Architekten aus dem Nachbarort Hanstedt, angemietet und umgebaut werden. 29 Schlafplätze, Badezimmer, einen Gemeinschaftsraum und eine Küche solle es geben, ein Hausmeister und ein Sozialarbeiter wären als Ansprechpartner für die Flüchtlinge da. Der potenzielle Träger, die in Bremen ansässige Human Care, betreibe im Landkreis unter anderem eine Unterkunft für 41 Flüchtlinge in Neu Wulmstorf – ohne Probleme mit den Anwohnern, sagt Frosdorfer.

Die baulichen Voraussetzungen seien bei der Pension in Undeloh ähnlich gut wie in Neu Wulmstorf. Allerdings mangele es an der Infrastruktur. Es gibt keinen Supermarkt, nur einen Schlachter und einen Bäcker, keinen Arzt und regelmäßig verkehrt nur der Schulbus. „In der Unterkunft sollen aber vor allem Männer untergebracht werden“, sagt Frosdorf. Die könnten auch mit dem Rad Einkäufe erledigen.

Die Infrastruktur brachten auch die Undeloher auf der Gemeinderatssitzung vor, die Flüchtlinge könnten hier nichts machen und darum an den schönsten Plätzen herumgammeln. Außerdem sinke der Wert ihrer Grundstücke. Niemand kaufe ein Haus, wenn nebenan Asylanten wohnen, formulierte es ein Anwohner.

„Das waren noch die harmlosen und ja auch bekannten Vorbehalte gegen solche Unterkünfte“, sagt Sascha Mummenhoff, der für das Nordheide Wochenblatt von der Sitzung berichtet hat. Seine Mutter ist mit 17 Jahren aus Indien nach Deutschland gekommen und blieb. „Man sieht mir meine indischen Wurzeln an“, sagt Mummenhoff, der seit fünf Jahren im Nachbarort wohnt. „Aber sie steckten so tief in der Debatte, dass ihnen meine Herkunft offenbar gar nicht mehr aufgefallen ist.“

Irgendwann sprang neben ihm ein Mann auf und rief, wer denn die Frauen und Kinder im Dorf vor den Asylanten schützen solle und dass seine Feriengäste keine dunkelhäutigen Frauen und Männer mit Kopftuch sehen wollen. Ein anderer Anwohner sagte, dass die Flüchtlinge bestimmt im Garten Lagerfeuer anzünden werden und das seinen Gästen nicht zuzumuten sei. „Auf diesem Niveau ging es weiter und niemand hat sich auch nur ansatzweise für die Unterkunft ausgesprochen“, sagt Mummenhoff.

„Wir sind kein rassistisches Dorf“, sagt Albert Homann (CDU), der seit 1968 Undelohs Bürgermeister ist. Aber es sei eben nicht alltäglich, dass sie sich hier mit einer solchen Frage beschäftigen müssen. Nach seiner Darstellung lief die Sitzung sachlich und ruhig ab, bis zwei angetrunkene Männer von einer Feier gekommen und in den Saal geplatzt seien. „Ehe ich etwas machen konnte, standen diese Sätze im Raum und es kochte hoch“, sagt Homann. Das sei Unsinn, sagt Mummenhoff. „Ich saß den ganzen Abend neben den Leuten, keiner platzte rein.“

In der kommenden Woche will sich der Landkreis Harburg entscheiden, ob er sich über den Beschluss des Gemeinderates hinwegsetzen werde, sagt Frosdorfer. Denn der Landkreis hat in dieser Sache das letzte Wort.

8 Feb 2013

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Ilka Kreutzträger

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Dichter
Schwerpunkt Rassismus
Hamburg

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