taz.de -- ARD und ZDF im Internet: Das Prinzip der Willkür
ARD und ZDF werden mit dem Rundfunkbeitrag finanziert, der von allen Haushalten verlangt wird. Trotzdem haben die Sendungen im Netz ein Haltbarkeitsdatum.
Es ist nicht auszuhalten! Da sorgt mit „Operation Zucker“ ausnahmsweise mal ein Spielfilm für Aufsehen – und wie ergeht es dem Zuschauer, wenn er endlich dazu kommt, den Film nachzuschauen? Er findet ihn nicht mehr.
Die ARD hat ihn „depubliziert“, wie sie diesen grotesken Vorgang in den Bürokratieanstalten nennen. Im dritten Jahr nun versehen ARD und ZDF ihre Sendungen mit Verfallsdaten – mit wenigen Ausnahmen wie der 20-Uhr-„Tagesschau“ und einer Handvoll politischer Magazine.
Was der heutige Beitragszahler bezahlt hat, wird wieder von den Portalen genommen. Warum also müssen öffentlich-rechtliche Programme wieder vom Netz?
1. Angst
Ob Spielfilme wie „Operation Zucker“, Krimireihen wie „Polizeiruf“ und „Tatort“ oder auch Serien wie „Verbotene Liebe“ und „Rote Rosen“: Privatsender wie RTL, ProSieben und Sat.1 wollen nicht, dass ARD und ZDF im Internet gigantische Archive aufbauen. Die Furcht: Wer Unterhaltung sucht, würde auf den beitragsfinanzierten Portalen fündig werden. Wer sollte dann noch für Filme und Serien zahlen, wie es die Privatsender mit ihren Portalen wie „RTL Now“ und „Maxdome“ (ProSiebenSat.1-Gruppe) probieren?
2008 hat die Medienpolitik deshalb entschieden: ARD und ZDF müssen ihre Sendungen aus Funk und Fernsehen in „Verweildauerkonzepten“ in Kategorien einteilen, denen nur eine begrenzte Haltbarkeit im Digitalen zugesprochen wird. Unterhaltung unterliegt etwa fast flächendeckend der „7-Tage-Regel“. Wie lange das Publikum wiederum News, Dokus, Talks und Magazine nachschauen darf, ist höchst unterschiedlich – zwischen drei Monaten und mehreren Jahren ist hier alles möglich, je nach Sendung und Sender.
Einige Sendungen bekommen beispielsweise einen Bonus, wenn sie irgendwie regional verhaftet sind. Dann wieder widersprechen sich die Kataloge der einzelnen Sender. So geht beim NDR das Wissenschaftsmagazin „Logo“ nach nur einem halben Jahr offline, während bei 3sat Wissenschaftliches fünf Jahre lang im Digitalen verweilen darf. Bei den Verweildauerkonzepten greift bisweilen eben das Prinzip „Willkür“ um sich.
Die Privatsender räumen inzwischen übrigens ein, dass das System viel zu kompliziert ist. RTL-Cheflobbyist Tobias Schmid sagte jüngst gar, bei der Unterhaltung würde er zwar auf der 7-Tage-Regel bestehen, doch bei Bildung und Kultur sei eine Lockerung denkbar. Stehen Dokus und Magazine von ARD und ZDF bald also unbegrenzt online? Die Intendanten wollen das einfordern. Dann muss aber erst mal die Politik ran.
2. Renditehunger
Manchmal können die Sender aber auch nicht anders: Sie müssen Löcher in ihren Mediatheken hinnehmen. Veranstalter von Sportereignissen oder auch Vermarkter von Filmen und Serien filetieren zunehmend die Rechte an ihren Produktionen.
Sie wollen mehr aus ihren Produkten rausholen, indem sie ein Rechtepaket für Live-Übertragungen verkaufen, ein anderes für die „on demand“-Nutzung. Wollten ARD und ZDF also all das, was sie in Radio und TV bringen, auch ins Netz stellen, so müssten sie dafür oft deutlich tiefer in die Tasche greifen. Und das wäre die Sache tatsächlich nicht immer wert.
Andererseits wollen auch ARD und ZDF verkaufen: „Tatort“ und „Polizeiruf“ oder auch ausgefeilte Reihen wie der „Kriminaldauerdienst“ und „Im Angesicht des Verbrechens“ gehen nach Ausstrahlung auf DVD in den Handel. Einnahmen, auf die die Sender nur ungern verzichten. Rechtfertigen müssen sie sich dafür derzeit nicht: Fiktionales dürften sie auf absehbare Zeit ohnehin nicht dauerhaft kostenfrei im Netz archivieren.
3. Schusseligkeit
Manchmal führt schlicht auch menschliches Versagen dazu, dass ARD und ZDF ihre Online-Archive beschneiden müssen. Im vergangenen Jahr etwa stellten Techniker des Westdeutschen Rundfunks fest, dass der gebuchte Speicherplatz für Online-Videos aufgebraucht ist.
Die Redaktionen mussten Platz schaffen und dafür alte Sendungen löschen. Wochenlang dauerte das, weil die Erweiterung der digitalen Kapazitäten europaweit ausgeschrieben werden musste. Zeit, in der Sendungen im Netz fehlten.
4. Günther Jauch
Und dann macht genau einer auch noch einfach sein ganz eigenes Ding: Günther Jauch. Er unterbietet einfach das Mindesthaltbarkeitsdatum seines Genres „politischer Talk“, das oft bei einem Jahr liegt. Warum? Weil es ihm „wichtig ist, dass am Tag vor der neuen Sendung die Ausgabe der Vorwoche nicht mehr im Netz steht“, wie ARD-Chef Lutz Marmor dazu erklärt.
Jauchs Produktionsfirma I&U verweist auf das „Recht am eigenen Bild“, will das aber nicht erklären, auch nicht, warum sich der Beitragszahler nicht mit den alten Sendungen beschäftigen darf. Für „Günther Jauch“ gilt damit die senderweit einmalige 6-Tage-Frist. Sie ist sein ganz persönliches Haltbarkeitsdatum.
17 Feb 2013
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