taz.de -- Proteste in der Türkei: Gespräche mit der Bürgerinitiative

Die türkische Regierung redet zum ersten Mal mit der Besetzern des Gazi-Parks. Dei Polizeigewalt geht derweil weiter, ebenso wie die Demos.
Bild: Istanbul: Musiker treten im besetzen Gazi-Park auf

ISTANBUL taz | Zum ersten Mal seit Beginn der Proteste hat die türkische Regierung direkt mit Initiatoren der Protestbewegung gesprochen. Vize-Premier Bülent Arinc traf sich gestern Mittag mit Vertretern der Bürgerinitiative gegen den Umbau des Taksim-Platzes, um deren Kritik offiziell entgegenzunehmen.

Die BI hatte am Montag vergangener Woche zur Besetzung des Gezi-Parks aufgerufen, nachdem die Regierung in den frühen Morgenstunden Bulldozer losschickt hatte, um die ersten Bäume absägen zu lassen. Anschließend gaben BI-Vertreter eine Erklärung ab, in der sie erläuterten, welche Forderungen sie gegenüber Arinc vertreten haben. Neben dem Erhalt des Parks verlangt die BI die Bestrafung der Verantwortlichen für mittlerweile landesweit 4.000 Verletzte und die sofortige Freilassung aller im Zusammenhang mit den Protesten Festgenommenen.

Arinc gab zunächst keine Erklärung ab. Er hatte nach einem Treffen mit Staatspräsident Abdullah Gül am Dienstag öffentlich erklärt, er bedauere die Polizeiübergriffe. Trotz dieser veränderten Tonlage der Regierung hält die Polizeigewalt unvermindert an.

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch war es im Istanbuler Stadtteil Besiktas sowie in Ankara, in Antakya und im vor allem von Kurden bewohnten Tunceli erneut zu heftigen Angriffen der Polizei auf Demonstranten gekommen. Aber es gab auch zahlreiche friedliche Proteste. In anderen Bezirken Istanbuls und in Ankara gingen die Leute auf die Straße, trommelten auf Töpfen und forderten den Rücktritt der Regierung.

Dafür sprachen sich gestern auch zwei große Gewerkschaftsdachverbände aus. Die linke Konföderation der Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes (Kesk) rief zu zweitägigen Warnstreiks, dem sich auch der Gewerkschaftsdachverband Disk anschloss. Zusammen mit den dadurch verursachten Arbeitsausfällen gehen die wirtschaftlichen Schäden der Auseinandersetzungen der letzten acht Tage inzwischen gegen 100 Millionen Dollar.

Die Börse ist abgestürzt, Touristen sagen ihre Urlaube ab und ausländische Investoren zweifeln an der Stabilität der Türkei. Premier Erdogan hat mit seiner provokanten Haltung schweren Schaden für die Türkei angerichtet - das meinen selbst konservative Kommentatoren.

5 Jun 2013

AUTOREN

Jürgen Gottschlich

TAGS

Schwerpunkt Türkei
Istanbul
Gezi-Park
Schwerpunkt Protest in der Türkei
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Taksim-Platz
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei

ARTIKEL ZUM THEMA

Erdogan sieht Komplott: „Das glaubt doch keiner mehr!“

Die harten Worte des türkischen Premiers bei seiner Rückkehr aus Nordafrika lösen bei den Demonstranten in Istanbul eher Gleichgültigkeit aus.

Erdogan zurück in der Türkei: „Geht nach Hause“

Tausende Anhänger feiern Ministerpräsident Erdogan bei seiner Rückkehr von einer Reise nach Nordafrika. Er will den Forderungen der Demonstranten nicht nachgeben.

Unruhen in der Türkei: Erdogan bleibt stur

Der Gezi-Park in Istanbul soll wie geplant umgestaltet werden, sagt Erdogan in Tunis. In Adana stürzte in der Nacht ein Polizist in eine Baugrube und starb.

Erdogan und Social Media: Papi fürchtet das Internet

In der Türkei werden Twitter-Nutzer festgenommen. Ihnen wird Anstachelung zum Aufstand vorgeworfen – das Netzwerk gilt als Bedrohung.

Proteste in der Türkei: Sehen, wie die Freiheit schmeckt

Die Demonstranten haben den Taksim-Platz in eine befreite Zone verwandelt. Hier herrscht ein Gemeinschaftsgefühl, das es so noch nie gab.

Unruhen in der Türkei: Gewalt und Festnahmen

In der Türkei reißen die Proteste gegen die islamisch-konservative Regierung nicht ab. Die Polizei nimmt Dutzende Twitter-Nutzer fest.

Türkin aus Berlin bei Istanbuler Protesten: Zufällig mittendrin

Eine Tränengasbombe der Polizei traf sie am Kopf, jetzt liegt Lobna Al Lamii im Koma. Die in Berlin lebende Türkin war zufällig zu den Protesten gestoßen.