taz.de -- Die Wahrheit: New York auf die Nette

Aus dem Tagebuch einer Überseelotsin: In den Hamptons den Strand zu besuchen, ist gar nicht so einfach.

Endlich! Sommer in meiner alten Heimat New York. Die mitgereisten Berliner Freunde sind schwer verwirrt: Die Stadt soll doch so tough sein, stattdessen geht ein warmer Regen aus Lächeln und einladender Neugier auf sie nieder! Kaum stehen sie in den Stadtplan vertieft an irgendeiner Ecke, wachsen Leute aus dem Asphalt und reißen sich darum, Richtung zu weisen, Orientierung zu geben, behilflich zu sein. New Yorker sind offenbar der Meinung, der Mitmensch verdiene vorurteilsfreies Interesse und kostenlose Freundlichkeit. Die Freunde können es nicht fassen. Sind die hier alle so nett? Well, it’s complicated.

Nach ein paar Tagen geht es nach Long Island, genauer in die Hamptons, ein von der Schöpfung verschwenderisch ausgestattetes Schlaraffenland zwischen Atlantik und Long Island Sound, das mit Lobster und Sweet Corn und den herrlichsten Stränden lockt. Damit der Besucher aus der City in den Genuss eines knöllchenfreien Strandbesuchs kommt, braucht er einen Beachsticker, welcher im Gemeindezentrum erhältlich ist. Die Prozedur ist so simpel wie logisch: Man legt Fahrzeugschein, Meldebestätigung oder den Mietvertrag für die Ferienwohnung vor und bekommt eine Plakette fürs Auto. Dann fährt man an den Strand und lässt Verkehrsgewühl und Sommergästestress hinter sich.

Im Gemeindehaus: wartende Kunden. Ein Schoßhündchen springt fröhlich an mir hoch. Am anderen Ende seiner Leine hängt eine sehr dünne, sehr aufgeregte Dame um die sechzig und wedelt mit Papieren: „Geben Sie mir jetzt meinen Beachsticker! Ich miete hier ein Haus!“– „Es tut mir leid, Ihr Mietvertrag ist vom letzten Jahr.“ – „Sie wissen doch, dass ich jedes Jahr hier bin!“

Die Angestellte sieht aus, als ob sie das wüsste, und seufzt. „Sie müssen uns einen gültigen …“ – „Die Frau, die mich heute Morgen bedient hat, wollte sich meine Papiere nicht mal ansehen!“ – „Bedient …?“ – „Hören Sie, ich habe genug von Ihnen, ich bin keine Idiotin, ich habe Kinder! Ich habe Enkel! Ich arbeite für wichtige Leute! Ich arbeite für Lorne Michaels! …“

Moment mal, Lorne Michaels? Der war sechzehn Jahre mein Nachbar. Er produziert „Saturday Night Life“ und „30 Rock“ und hat der Welt die großartige Tina Fey geschenkt, in Deutschland bekannt als Sarah-Palin-Imitatorin und als Liz Lemon aus „30 Rock“. Liz, forever in my heart!

Wer ist diese inzwischen sehr, sehr wütende Hysterikerin aus Manhattan, die behauptet, für diesen Mann zu arbeiten? „You are a Nazi!“, erklärt sie dem geduldigen Wesen hinter dem Tresen. Das hat jetzt endgültig genug und verzieht sich.

„You are the Gestapo!“, schickt die „I am not an idiot“-Lady der Flüchtenden nach, was deren Kollegin, die soeben nichtsahnend an ihr vorbei den Raum betritt, auf sich bezieht und akustisch fehlinterpretiert. „What am I? Gazpacho?“

Brüllendes Gelächter sämtlicher Zeugen. Die Lady zieht schäumend ab, der Hund wedelt.

Fazit: Die sind nicht alle so nett, manche sind wie die Gazpacho. Aber im Gegensatz zu der haben sie nette Hunde.

8 Jul 2013

AUTOREN

Frankenberg

TAGS

New York
Manhattan
Baby
Toskana
Krankheit
Einkaufen
Ostsee
Besuch

ARTIKEL ZUM THEMA

Die Wahrheit: Nachts im Bauch

Tagebuch einer Sommerfestbesucherin: Mit Staubsaugen und Waschmaschine wollen Mütter ihre Babys zum Einschlafen bringen.

Die Wahrheit: Gastkatastrophen zum Geburtstag

Tagebuch einer Sommerfrischlerin: Zu Besuch in der Toskana bei einer Freundin, die sich einen Monat lang auf ihren Geburtstag vorbereitet.

Die Wahrheit: Sex und Krankheit im alten Westen

Aus dem Tagebuch einer Umzieherin: Wer ein Jahr im Papa-Mama-Kind-Biotop des Prenzlauer Bergs überlebt hat, ist nach einem Umzug zutiefst erleichtert.

Die Wahrheit: Studien in der Schlange

Nach zwanzig Minuten brach sie in die Knie, warf flehend die Arme in die Höhe und beschwor jammernd den Warteschlangengott.

Die Wahrheit: Schlaffe Naturgewalten

Aus dem Tagebuch einer Strandwanderin: Wenn die Ostsee-Gestade schon enttäuschen, muss man halt das Landesinnere erkunden.

Die Wahrheit: Zwischen China Club und Tulpenfest

Ein Anruf aus München, die beste Freundin kündigt ihren Berlinbesuch an. Der Anlass – Ehemaligentreffen aus gemeinsamen Internatszeiten ...