taz.de -- Kolumne Luft und Liebe: Ist es der güldene Herrenslip?
Das wüste Leben des Günther J. ist letztlich nur so mittelwüst. Statt Orgien gibt es Schlaglöcher. Ist aber auch okay so.
Auf dem Weg zur Tür stolpert Günther über eine Frau im Zebrakostüm. „Renate, du alte Crackhure“, murmelt er. Die Frau ist so besoffen, dass sie es nicht mal schafft, ihn angemessen zu beschimpfen, sie kann gerade mal ein Auge halb öffnen, um zu sehen, dass er immer noch die roten Lackstiefel trägt, mit denen er gestern Abend im Aquarium getanzt hat, sehr ausdauernd für seine 56 Jahre.
Günther hält sich am Whiskyregal fest, will sich mit dem Ärmel die weißen Krümel von der Nase wischen, da bemerkt er, dass er gar nichts trägt, was Ärmel hätte. Er schüttelt den Kopf, geht zurück zum Badezimmer, um einen Bademantel zu holen.
Vor dem Panoramafenster zum Garten bleibt er stehen und kneift die Augen zusammen, die Nachmittagssonne blendet ihn. Ist das sein güldener Herrenslip, der in der Magnolie hängt? Er zieht den Bademantel so weit zu, dass man die Lippenstift-Aufschrift „We are ugly but we have the music“ auf seiner Brust nicht mehr lesen kann.
Dann hastet er endlich zur Tür und begrüßt die Reporterin der Zeitschrift die aktuelle mit seinem gewohnten Fernsehlächeln. Sie bemerkt Günthers neue rote Stiefel nicht gleich, findet aber, dass der Propellerhut ihm etwas Jugendlich-Frisches verleiht. Just in diesem Moment knallt der Kronleuchter von der Decke im Flur. Glassplitter überall. Verlegenes Räuspern, dann bittet Günther die Reporterin herein.
Würde man meinen. Wenn man die Titelseite der aktuellen sieht. Ein großes Foto von Günther Jauch, darunter steht: „Das hätte keiner gedacht: Günther Jauch – So wüst lebt er! Skandalöse Zustände im Villen-Viertel“. Ich hatte eine Reportage über Günthers liederliches Schmuddelgeheimleben erwartet und dazu vielleicht einen Servicetext „Wie veranstalte ich eine Orgie?“ mit praktischen Tipps, Dekovorschlägen, Rezepten und so. War dann aber gar nicht.
Mehr nicht. Manno
Wenn man die Titelstory nämlich liest, stellt man fest, dass es nur um die Straße vor Jauchs Haus in Potsdam geht. Da sind Schlaglöcher, um die Jauch herumfahren muss, damit an seinem Auto nichts kaputtgeht. Das ist sein „wüstes Leben“. Mehr nicht. Manno.
Aber: Es könnte eventuell noch einen Zacken wüster werden. Denn die aktuelle hat auch beobachtet, dass Jauch in letzter Zeit oft „unrasiert mit Bart, lässig in Jeans und Hemd“ auftritt und das könnte vielleicht darauf hindeuten, dass er „mittlerweile Gefallen an einem lässigen Stil findet“.
Zum Jubiläum meiner Kolumne, die heute das 25. Mal erscheint, kann ich es ja sagen: Ist bei mir auch so. Auch vor unserem Haus gibt es Löcher in den Wegen, und auch ich laufe manchmal unrasiert, in Jeans und Hemd rum. Lässig sowieso. Dass das als wüstes Leben gilt, finde ich schön. Man hat ja selbst irgendwann nicht mehr den Blick für solche Dinge.
„Sich dem Lotterleben in die Arme werfen“ heißt es bei Brecht. Ich hab mich da längst hingeworfen, mit großer Freude. Mir geht es gut in diesen Armen. Wenn Jauch in seiner neuen Lässigkeit dazukommen mag, werden wir für ihn noch ein Plätzchen finden. Komm her, Günther. Hier ist es schön und mindestens so wild wie in Potsdam. Also, wirklich, mindestens.
11 Jul 2013
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Jetzt im Sommer hört man ständig die Sexgeräusche der Nachbarn. Vielleicht sollte man sie sammeln und wiederverwerten.
Im Sommmerloch vögeln die Affen. Die Menschen gucken zu und machen sich Gedanken. Weil der Mensch ein Mensch ist, will er, dass es um ihn geht.
Selbstliebe ist schwer zu lernen. Für Deutsche angeblich ganz besonders. Und mit Teebeutelsprüchen wird es nicht einfacher.
Die Briefe von Beauvoir und Adorno, Sexchats auf Facebook und das Quaken der Frösche am See: Am Ende ist alles öffentlich.
Ein Leipziger Dekan, der nicht „Herr Professorin“ sein will, und Harald Martenstein: In einem Theaterstück über das Patriarchat hätten sie wichtige Rollen.
Feminismus endet auf „–ismus“ und ist deswegen ideologisch. Klar. Wie viele andere Dinge auch. Journalismus und so.
Wer Feministin werden will, ist vielleicht schon eine. Aber einfach ist es nicht. Manchmal blühen tausend Penisse vorm Fenster.