taz.de -- Der Sonntaz-Streit: Impfzwang für alle?
Schon lange sind nicht mehr so viele Deutsche an Masern erkrankt wie in diesem Jahr. Politiker erwägen deshalb eine Impfpflicht. Brauchen wir die?
Hautausschlag, Husten, Fieber: Eigentlich wollte die Weltgesundheitsorganisation die Masern in Europa bis 2010 ausgerottet haben. Doch in diesem Jahr bestätigte das Robert-Koch-Institut in Deutschland schon 1.070 Fälle, 800 bis 900 davon in Berlin und Bayern – mehr als sechsmal so viele wie im ganzen Jahr 2012. Ungewöhnlich ist, dass fast die Hälfte der Erkrankten über 20 Jahre alt sind. Bei ihnen ist der Krankheitsverlauf oft schwerer.
Bei Masern handle es sich nicht um eine harmlose Kinderkrankheit, sagt Dorothea Matysiak-Klose vom Robert-Koch-Institut: „Die Virusinfektion kann vielmehr zu schweren Komplikationen führen“, wie zur Schwächung des Immunsystems oder als Spätfolge zu Hirnhautentzündung.
In Deutschland sind 92 Prozent der Schulanfänger gegen Masern geimpft, 95 Prozent müssten es sein, damit die Masern in Deutschland eliminiert werden können. Doch besonders gebildete Eltern sträuben sich häufiger dagegen, ihre Kinder zu impfen. Gesundheitsminister Daniel Bahr hat deshalb vergangene Woche die Einführung einer Impfpflicht erwogen, SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und Unionsfraktionsvize Johannes Singer (CSU) schlossen sich ihm an.
Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jens Span, forderte, dass nur geimpfte Kinder Kitas, Kindergärten und Schulen besuchen dürfen. In den USA gibt es diese Regelung bereits, dort gelten die Masern seit 2002 als ausgerottet.
Bis 1976 gab es in Deutschland eine Impfpflicht gegen Pocken. Das Infektionsschutzgesetz sieht auch heute noch bei einer Ausbreitung von Erkrankungen eine mögliche Impfpflicht vor. Die sei allerdings kontraproduktiv, halten andere dagegen. Wie Jan Leidel, Leiter der Ständigen Impfkommission. Er findet, man brauche vor allem noch mehr Aufklärung. So können Eltern überzeugt werden, ihre Kinder impfen zu lassen.
Forderungen nach einem Impfzwang kommen bei der Bevölkerung gut an. 79 Prozent der Deutschen befürworten ihn, vor allem Bürger aus den neuen Bundesländern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Krankenkasse DAK-Gesundheit. Impfpflichtgegner führen hingegen das Selbstbestimmungsrecht der Eltern und die möglichen Risiken der Impfung an.
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16 Jul 2013
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