taz.de -- Kommentar Tunesien: Ägyptische Verhältnisse
Der Oppositionsführer erschossen und die Unzufriedenheit mit der teil-islamistischen Regierung in Tunis wächst. Eine brenzlige Situation.
Die Übergangsregierung von zwei säkularen Parteien und der islamistischen Mehrheitspartei Ennadha in Tunesien steht vor dem Aus. Die Ermordung des Oppositionspolitikers Mohamed Brahmi, Mitglied der linken Fort Populaire, hat die Konfrontation von säkularen und islamistischen Kräften explosiv zugespitzt. Alle säkularen Oppositionsparteien wie Front Populair, Nida Tounes, die Republikaner, aber auch die einflussreiche Gewerkschaft UGTT fordern die sofortige Ablösung der Regierung und der Verfassunggebenden Versammlung. Die Gewerkschaft rief zum Generalstreik auf.
Der Mord an Mohamed Brahmi ist nach der Ermordung des beliebten Oppositionspolitikers Chokri Belaid vor sechs Monaten, auch er Mitglied des linken Koalitionsbündnisses, eine Zuspitzung der Gewalt. Ein Terrorakt, der die schwierige Übergangssituation in Tunesien weiter bedroht und nur weiter Chaos, Destruktivität und Gewalt produziert. Zu wessen Nutzen?
Jedenfalls nicht zum Nutzen der islamistischen Partei Ennahda. Wenn man bis jetzt auch nicht weiß, wer die Mörder waren, so gilt die Wahl des Opfers für die meisten Tunesier als Hinweis auf Salafisten, die überall im Land im Verbund mit frei gesetzten reaktionären Kräften des Ben Ali-Regimes Unruhe stiften. Brahmi war selbst ein erbitterter Gegner der Islamisten.
Nach der Absetzung der Regierung Mursi in Ägypten mutet so eine Provokation blindwütig und geradezu selbstmörderisch dumm an, falls es irgendeiner islamischen Sache dienen sollte.
Die Ereignisse in Ägypten wurden in Tunesien mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Für die heute im ganzen Land demonstrierenden TunesierInnen ist jedenfalls klar: Eine Regierung, die die Sicherheit der Oppositionellen nicht garantiert, die im Gegenteil im Verdacht steht, salafistischen, rechten Terror für sich zu nutzen, hat auf breiter Linie versagt.
26 Jul 2013
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Zehntausende demonstrieren in Tunesien täglich gegen die von Islamisten geführte Regierung. Neuwahlen sind der einzige Ausweg aus der Krise.
In Tunis demonstrieren Zehntausende gegen die Regierung der islamistischen Ennahda-Partei. Als Reaktion setzt die verfassunggebende Versammlung ihre Arbeit aus.
Regierungsgegner, wie -anhänger zeigen Stärke. In der Nacht zum Sonntag sind sie auf Tunis' Straßen unterwegs. Neuwahlen sind für Dezember geplant.
Angesichts der politischen Krise bietet der Innenminister seinen Rücktritt an. Doch die Proteste gegen die Islamisten halten an.
„Al-Dschasira“ wehrt sich gegen den Vorwurf, Sprachrohr der Muslimbrüder zu sein. Tendenziös berichten auch andere – zugunsten des Militärs.
Erneut demonstrieren Hunderttausende. In Alexandria kommt es zu einer tödlichen Straßenschlacht. Was sich in Kairo ereignete, bleibt zunächst unklar.
Ein prominenter Politiker wurde in Tunis auf offener Straße erschossen. Anhänger der Opposition demonstrieren wütend vor dem Innenministerium.
Säkulare werfen der islamistischen Regierung einen politischen Staatsstreich vor. Eine Bewegung sammelt schon Unterschriften.
Weder in Deutschland noch in Mittel- und Osteuropa verlief die Demokratisierung geradlinig. Für Ägypter mag das frustrierend sein, aber es gehört dazu.
Die drei Frauen waren zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden. Sie hatten Ende Mai mit entblößten Brüsten demonstriert. Noch am Donnerstag sollen sie nach Europa zurückkehren.