taz.de -- Comic-Kunst aus Italien: Science-Fiction, die schwebt

In „Die Übertragung“ erzählt der italienische Zeichner Manuele Fior eine Geschichte aus der Zukunft. Die schwarz-weißen Bilder sind zart und subtil.
Bild: Behutsames Einfühlen in Stimmungen.

Dem italienischen Comickünstler Manuele Fior gelingt es, seine Leser zu überraschen. So auch diesmal, allein in der Form der Präsentation, denn seine neue Graphic Novel „Die Übertragung“ legt er im klassischen Albenformat vor – mittlerweile leider unüblich für eine Graphic Novel – und in Schwarz-Weiß.

Nach seinem Schwarz-Weiß-Debüt „Menschen am Sonntag“ hatte Fior nur Werke vorgelegt, die durch ihre Farbgebung auffielen. Während der in Schwarz-Rot angelegte Band „Ikarus“ recht expressiv ausfiel, verfeinerte sich Fiors Technik in der Folge – in der nuanciert aquarellierten Literaturadaption „Fräulein Else“ bis zur zuletzt erschienenen Graphic Novel „5000 Kilometer in der Sekunde“, einer Alltagsgeschichte über die Nöte dreier Jugendlicher, geprägt von impressionistisch zarten Pastelltönen. Nun also „nur“ Schwarz-Weiß? Und Science-Fiction?

Doch Manuele Fior bleibt sich treu. Keine Geschichte ist wie die andere, für jede sucht er eine eigene Form – trotzdem bleibt der Stil des noch jungen Künstlers unverwechselbar.

Zum Plot: Raniero, ein Psychiater in den Fünfzigern, hat eines Nachts einen Autounfall auf einer Landstraße. Da entdeckt er geometrische Zeichen am Himmel, Prismen, Dreiecke. Handelt es sich um Lichtreflexionen oder eine Sinnestäuschung? Zu Hause hat ihn der Alltag bald wieder. Seine Frau Nadia will sich scheiden lassen, obwohl sich beide nahestehen. Und in der Klinik bekommt er eine neue junge Patientin, Dora, die der „Neuen Konvention“ angehört – einer Bewegung, die keine Monogamie zulässt.

Persönliche Krise trifft auf globales Ereignis

Raniero fühlt sich von Dora angezogen und verspürt eine seltsame Wesensverwandtschaft. Offenbar hat auch Dora die „Zeichen“ gesehen. Eine persönliche Krise und ein globales Ereignis treffen aufeinander.

Obwohl es sich um eine Science-Fiction-Story handelt, ist der erste Eindruck ein völlig anderer: Es fehlt das offenkundig Spektakuläre, die Erzählung läuft ganz leise an. Auch diesmal beweist Fior seine Meisterschaft in der behutsamen Einfühlung in Stimmungen, ins Innenleben seiner Charaktere.

Durch die schwebende Leichtigkeit der Erzählung und die Mehrdeutigkeit der Geschehnisse wird der Leser zum Nachdenken angeregt, zur Interpretation der unaufgeregten Bilder, die im Laufe der Handlung ihre eigene Spannung entwickeln. Die Geschichte changiert zwischen lebensnahen und übernatürlichen Ereignissen, die jeweils rätselhaft bleiben.

Ein Durchschnittstyp

Manuele Fior hat auch den Mut, einen älteren Durchschnittstypen zum Protagonisten zu wählen, der nichts Heldenhaftes hat und sich nur eingeschränkt zur Identifikation eignet. Doch gerade das macht die Figur sympathisch: eine authentische Persönlichkeit, mit Zweifeln behaftet. Fior zeigt so, dass komplexe, lebensnahe Charaktere in Graphic Novels überzeugen können und hierin den Medien klassische Literatur und Film um nichts nachstehen.

Das Genre Science-Fiction bürstet der Italiener geradezu gegen den Strich: Kein Alien weit und breit, kein Militär, keine konkreten Bedrohungen. Geradezu nebenbei werden kleine futuristische Einfälle eingestreut – sodass der Leser erst spät begreift, dass sich die Vorgänge im Jahr 2048 zutragen.

Manuele Fior hat drei Jahre an dieser Graphic Novel gezeichnet. Er arbeitet ohne Szenario, um sich während des kreativen Prozesses davon überraschen zu lassen, wohin ihn die „Reise“ führt. Das Resultat ist eine lebendige, unvorhersehbare Geschichte, die dennoch gut strukturiert ist. Dabei gelingen Manuele Fior in Schwarz-Weiß ähnlich subtile Bilder wie in seinen farbigen Arbeiten. Und er beweist, dass Science-Fiction auch jenseits von Klischees funktionieren kann.

6 Aug 2013

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Trommer

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