taz.de -- Kommentar Kosovokrieg: Auf die falsche Brücke gefahren
Kein Schadensersatz für die Angehörigen der Varvarin-Opfer: Das Urteil genügt der Beweislage. Dennoch hätte das Gericht mutiger sein können.
„Hard Cases make bad law“ – extreme Fälle sind keine gute Grundlage für neue Regeln. Das ist eine alte Juristenweisheit.
Insofern ist es nicht überraschend, dass das Bundesverfassungsgericht den Nato-Angriff auf die Brücke der serbischen Kleinstadt Varvarin jetzt nicht zum Anlass für eine revolutionäre Stärkung von Kriegsopfern genommen hat. Denn wenn es keine eindeutigen Beweise dafür gibt, dass auch deutsche Soldaten an diesem Angriff beteiligt waren, ist eine Klage gegen Deutschland eben kein Selbstläufer.
Dass die Verfassungsrichter nicht im Alleingang völkerrechtliche Ansprüche von Individuen schaffen, war schon erwartet worden. Doch beim innerdeutschen Recht, den Amtshaftungsansprüchen gegen den deutschen Staat, wäre etwas mehr Mut denkbar gewesen. Immerhin hatte das Oberlandesgericht Köln in diesem Fall erstmals die prinzipielle Möglichkeit solcher Ansprüche bejaht. Die Verfassungsrichter haben dies nun offengelassen. Schade.
Aber der nächste, bessere Fall ist schon abzusehen. Derzeit klagen am Landgericht Bonn die Opfer des Bombardements von Kunduz. Hier wird niemand sagen können, Deutschland sei nicht beteiligt gewesen. Schließlich hat der deutsche Oberst Klein den Befehl gegeben.
Dann wird es auch eine Rolle spielen, dass Karlsruhe jetzt zum Beispiel die Beweislast bei Vorgängen innerhalb der Nato umgedreht und die gerichtliche Kontrolle bei der Zielauswahl verbessert hat. Auch das ist eine kleine Revolution - gut versteckt, in einer abgelehnten Klage. Manchmal sorgen aussichtslose Fälle doch für Fortschritte.
3 Sep 2013
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